Der Mann, der's wert ist
der Hotelhalle. Dort gab er
mir eine fotokopierte Liste, auf der Zahlen standen. »Du bekommst jeden Morgen
einen Tagesplan von mir. Die Zahlen bedeuten Zimmernummern. Ein + neben der
Zimmernummer bedeutet: Gast bleibt, also Betten machen, Papierkorb leeren,
staubsaugen wenn es nötig ist, und Waschbecken, Toilette und so weiter
saubermachen — Frau Hedderich wird dir alles zeigen. Wenn neben der
Zimmernummer ein — steht, ist der Gast ausgezogen. Das heißt: Bett frisch
beziehen, neue Handtücher, Heizung abdrehen, staubsaugen, kontrollieren, ob der
Gast was vergessen hat, neue Seife hinlegen. Und >Kontr.< bedeutet, daß
du nur die Heizung andrehen mußt, wenn nötig etwas staubwischen und
kontrollieren, ob alles in Ordnung ist.«
Aus dem Hintergrund kam Frau
Hedderich: »Da sind Sie ja endlich!« Es war noch nicht mal neun. »Ich hab’s
eilig!«
Ich mußte sofort mit ihr hinauf
in den zweiten Stock. Während wir in dem alten Aufzug nach oben tuckerten,
sagte sie: »Wissen Sie, ich kann keine Treppen mehr steigen, ich hatte einen
Gebärmuttervorfall, so was kann sich bei uns Frauen schnell zu einem
Gebärmutterkrebs auswachsen.«
Mir wurde schwummrig.
Vielleicht lag es auch an dem ächzenden Aufzug.
»Haben Sie auch schon einen
Gebärmuttervorfall?«
»Nein«, sagte ich schwach.
»Das geht schneller als man
denkt«, sagte Frau Hedderich. Die Aufzugtür klemmte, nur mit Mühe gelang es uns
zu entkommen. Auf der Tür gegenüber vom Aufzug stand >Herrentoilette<,
handgemalt mit Goldbronze, die grünlich angelaufen war. Darunter genagelt ein
Kartonstreifen: >Damentoilette gegenüber«. Einerseits ist es gut, wenn man
die Toilette nicht suchen muß wie im Kaufhaus, wo man sich als
Sittlichkeitsverbrecher fühlt, wenn man mal aufs Klo muß, doch dieser erste
Eindruck hier hätte als zweiter Eindruck genügt.
Frau Hedderich führte mich um
eine Ecke zu einer Glastür am Ende eines Flurs, auf der Tür ein Schild:
>Zutritt verboten<. Die Tür war offen, es war ein kleiner Raum, nur so
breit wie das Fenster an der Stirnseite, auf beiden Seiten Regale, auf denen
Bettwäsche und Handtücher lagen, unten standen Wäschekörbe.
Alle Schmutzwäsche solle ich in
die Wäschekörbe tun, erklärte Frau Hedderich. Früher hätte sie mit ihrer
Tochter die Wäsche gemacht, jetzt würde einmal pro Woche die Wäsche geholt und
neue gebracht, das sei sehr praktisch, mit der Wäsche hätte man jetzt nichts
mehr zu tun. Sie gab mir eine Garnitur Bettwäsche und Handtücher, ich hatte ihr
zur übernächsten Tür zu folgen. >Etagenbad< stand darauf in grün
angelaufener Goldbronze, drunter wieder ein Kartonstreifen >Außer
Betrieb<. Es war ein altmodisches Bad mit einem Vorraum. Die Badewanne war
mit einer alten Tischplatte abgedeckt, darauf ein Werkzeugkasten, ein Karton
mit Hotelseifen, mehrere Großpackungen Klopapier. Im Vorraum ein großer
Staubsauger, eine Leiter, Besen, Schrubber, Eimer und Kanister diverser
Putzmittel.
»Das war das Bad für die Gäste,
die Zimmer ohne Bad haben«, sagte Frau Hedderich. »Aber die wollen sowieso
nicht baden, deshalb hat mein Mann es als Putzraum eingerichtet.«
»Indem er eine Tischplatte über
die Badewanne gelegt hat?« Sonstige Einrichtungsbemühungen fielen mir nicht
auf.
»Ja, mein Mann ist sehr
praktisch, der bringt hier alles in Ordnung.«
Frau Hedderich schloß Zimmer 12
auf, es lag direkt neben dem Etagenbad und war kaum größer. Ein schmales Bett,
ein schmaler Schrank, zwei Stühle, ein wackelig wirkendes Tischchen, ein
Waschbecken vor zwei Quadratmetern gekachelter Wand. Auf dem Boden
teppichgemustertes Linoleum. Neben der Tür hing ein Zettel, Zimmer 12 koste
inklusive Frühstück 45.— DM. Billig — trotzdem hätte ich hier nicht übernachten
wollen.
Frau Hedderich setzte sich auf
einen Stuhl und beobachtete meinen Versuch, das Bett routiniert zu überziehen.
Sie sagte: »Sie lernen das schnell. Sie sind noch jung und gesund.« Dann
erklärte sie, die meisten Gäste blieben nur eine Nacht. Wenn ein Gast länger
bleibe, müßte ich alle vier Tage die Bettwäsche wechseln. Oder auch außer der
Reihe, wenn es nötig sei — sie sagte nicht, was geschehen mußte, damit es nötig
sei. Und Messebesucher kämen nicht mehr so viele wie früher. Die meisten Gäste
seien Vertreter, die in der Nähe Firmenbesuche machen. Ein
Schreibwarenvertreter schenke ihr jedesmal einen Füller aus seiner neuen
Kollektion, dafür bekäme er von ihr zum Frühstück eine extra große Kanne
Kaffee.
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