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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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verrückt. Unglaublich, wie zusammengewürfelt
alles war. Ich wollte gehen, weiterputzen.
    »Einen Moment, jetzt noch Herrn
Hedderichs Refugium.« Rufus führte mich zu dem Holzpaneelenverschlag vor dem
linken Schaufenster, darin stand eine Liege und ein großes, nagelneues
Fernsehgerät. Hier würde sich Herr Hedderich hinlegen, wenn er nachts das Hotel
bewacht, er macht jeden Abend Dienst von sieben Uhr bis Sendeschluß. Manchmal
würde er den Fernseher rausrollen, um mit Gästen in der Halle fernzusehen. Hier
würden auch die Koffer aufbewahrt, wenn ein Gast morgens auscheckt, seine
Koffer aber erst später holen will. Rufus zeigte auf zwei Kästen mit unzähligen
Plexi-Schubfächern, in denen Schrauben, Dichtungsringe und so weiter waren. An
der Wand darüber hingen Hämmer, Zangen und Sägen. »Wenn irgendwo was kaputt
ist, brauchst du es nur hier reinzustellen. Herr Hedderich repariert alles,
ohne ihn könnten wir dichtmachen.« Respektvoll betrachtete ich diese
Schlafraum-Fernseh-Werkstatt in der Hotelhalle. Nun hatte ich wirklich genug
gesehen. Ich dankte Rufus für die Führung und machte mich wieder an meine
Arbeit.
    Ich hatte nur fünf Betten zu
beziehen, aber in allen Zimmern waren die Papierkörbe nicht geleert. Ich fand
alte Illustrierte in den Papierkörben — hervorragende Gratislektüre für die
Busfahrt. Es macht mir nicht aus, Illustrierte aus dem Papierkorb zu lesen, sie
waren sicher sauberer als die in einer Arztpraxis. Aber ich staunte selbst, daß
es mir auch überhaupt nichts ausmachte, die Klos zu putzen. Ich rechnete nur
das Geld zusammen, das ich Stunde für Stunde verdiente. In einigen Tagen hätte
ich locker die Miete für Mercedes verdient. Außerdem hatte der Ausverkauf
begonnen, vielleicht fand ich einen günstigen Wintermantel. Ja, es machte richtig
Spaß, hier zu putzen.
    Ich hätte ewig weiterputzen
können, aber um fünf lieferte ich Rufus den Generalschlüssel an der Rezeption
ab. Und die Liste: Es fehlten insgesamt drei Bibeln und elf Glühbirnen. Ich
hatte die Art der Glühbirne auf der Liste vermerkt.
    Rufus griff sich entsetzt an
den Kopf — fast hätte er seinen linealgeraden Deppenpony in Unordnung gebracht:
»Furchtbar, die Schlamperei von Frau Schenk, in der 25 war wohl überhaupt kein
Licht mehr!«
    »Eine Glühbirne in der
Glasschale an der Decke ging noch. Was ich dich fragen wollte: Warum gibt es
eine Zimmernummer 25, es sind doch nur vierundzwanzig Zimmer?«
    Rufus zeigte auf die Liste:
»Ist dir nicht aufgefallen, daß die Nummer 13 fehlt?«
    »Nein. Warum fehlt sie?«
    »In keinem Hotel gibt es eine
Zimmernummer 13. In den großen Hotels gibt es auch keine 13. Etage. Bist du
nicht abergläubisch?«
    »Ich weiß nicht. Jedenfalls hab
ich vor einer 13 keine Angst. Bist du abergläubisch?«
    »Ich glaube nicht an die Macht
des Schicksals und daß alles vorherbestimmt sein soll. Aber ich glaube an die
Macht des Zufalls. Das ist sicher: Aus Zufällen kann Schicksal entstehen.«
    »Hm«, sagte ich nur und
verabschiedete mich. Erst im Bus dachte ich darüber nach, was Rufus gesagt
hatte. Eigentlich sonnenklar, daß aus Zufällen Schicksal entstehen kann. Aber
für einen Hotelportier war Rufus erstaunlich philosophisch.
     
     
     

45. Kapitel
     
    Am Dienstag bekam ich sogar elf
Mark Trinkgeld. Der Gast, dem ich gestern Klopapier gebracht hatte, war ausgezogen
und hatte fünf Mark auf den Tisch gelegt. Und fünf Mark von einer Frau in
Zimmer 16, sie hatte ihren Fön vergessen, ich besorgte ihr einen aus Rufus’
Hotelzubehör-Sammlung. Von einem Mann, dessen Ehering ich vor dem Staubsauger
rettete, bekam ich eine Mark. Es war der Mann aus Zimmer 4, dem kleinsten
Zimmer. Der Mann war mindestens fünfzig Jahre alt, höchstens einssechzig groß
und einiges zu dick. Als ich anklopfte und feststellte, daß er im Zimmer war,
wollte ich später wiederkommen, aber er sagte, es störe ihn überhaupt nicht,
wenn ich in seiner Anwesenheit putze, im Gegenteil. Er setzte sich in den
Sessel und sah mir zu, als sei ich seine Privatputzfrau. Und da fand ich neben
dem Nachttischchen auf dem Boden seinen Ehering.
    »Oh, den brauche ich heute
abend«, sagte er.
    »Heute abend brauchen Sie Ihren
Ehering? Ich dachte, einen Ehering trägt man immer?«
    »Ich bin seit siebzehn Jahren
geschieden. Ich trag den Ehering nur, wenn ich mich mit einer meiner
Freundinnen treffe.«
    »Ah«, sagte ich erstaunt, aber
höflich.
    »Sie sind jung und hübsch, aber
wenn die Damen älter sind, werden sie

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