Der Mann, der's wert ist
hab zu Hause ein Parfüm,
Chanel Nr. 5 oder noch ein Tuch von Dior oder eine Guerlain-Puderdose — du
kannst dir aussuchen, was du passend findest. Oder ein Badehandtuch von Yves
Saint Laurent.«
»Bei dir zu Hause? Ich muß um
zehn am Bahnhof sein, und du wolltest mich vorher zum Essen einladen.«
»Ich dachte, du hättest heute
Zeit, bei mir zu übernachten.« Mercedes klang kleinlaut.
»Ich muß morgen früh um neun
meine Frau zum Arzt bringen«, sagte der Mann.
»Wir könnten vor dem Essen ganz
kurz zu mir gehen, ein halbes Stündchen.«
»Ich hab Hunger«, sagte der
Mann.
Sie gingen weiter. Ich sah
ihnen nach.
Sie standen an der Ampel. Er
hatte beide Hände in den Manteltaschen und nichts deutete daraufhin, daß er
Mercedes kannte. Es war der Mann aus Zimmer 4!
Ich war so aufgeregt und so
neugierig, ich mußte unbedingt noch mal ins Hotel zurück, um mit Rufus darüber
zu reden. Rufus war noch an der Rezeption.
»Kennst du den Mann aus Zimmer
4? Ich glaub, das ist der Herzallerliebste der Schwester meines Freundes!«
»Da weißt du mehr über ihn als
ich.«
»Kommt er öfter?«
Rufus blätterte im großen
Belegungsbuch: »Um dir alles zu sagen, was ich über ihn weiß — er kommt einmal
im Monat, er wohnt immer im billigsten Zimmer und läßt sich immer eine Rechnung
über das teuerste Zimmer geben. Er arbeitet für eine Firma hier in der Nähe,
die ihm die Hotelkosten ersetzt.«
»Ehrlich?«
»Mehr weiß ich nicht über den
Mann.«
Das reichte mir eigentlich.
»Dann bis morgen.« Ich mußte es sofort Benedikt erzählen!
»Wenn du noch kurz Zeit hast,
könnte ich dir Herrn Hedderich vorstellen, er ist eben gekommen.« Rufus rief in
Richtung Verschlag: »Herr Hedderich!«
Nie hätte ich gedacht, daß Herr
Hedderich ein prostatakranker Mann ist, sein Gesicht war ziemlich rot und
wirkte entsprechend gesund, und er roch nach Bier. Er drückte mir heftig die
Hand, er freue sich, das neue Fräulein kennenzulernen, und ich sei eine große
Entlastung für seine kranke Frau. »Ich hab eine Überraschung für Sie«, sagte er
und ging in seinen Verschlag.
Er brachte einen Stuhl heraus,
dessen Polstersitz mit kackbrauner Plastikfolie bezogen war. Es war ein schöner
Stuhl gewesen, ehe sich Herr Hedderich mit seiner Plastikfolie an ihm vergangen
hatte.
»Den haben Sie wieder wunderbar
hingekriegt«, lobte Rufus.
»Wenn Sie so nett sind und den
Stuhl raufbringen«, sagte Herr Hedderich, »ich bin nicht gut zu Fuß, ich habe
ein Raucherbein.«
»Wohin?«
»Wo einer fehlt.«
Ich sah Rufus an. Keine Ahnung,
wo in diesem Gerümpellager ein Stuhl fehlte.
»Das hat Zeit bis morgen«,
sagte Rufus, »laß ihn solange hier unten.«
»Und wohin soll er morgen?«
»Einfach irgendwo hinstellen,
wo Platz ist«, sagte Rufus.
Ich sagte ergeben: »Ich hätte
es mir denken können.«
»Was?« fragte Rufus
verständnislos.
»Es ist alles so praktisch
hier, die Möbel, die Männer, alles.«
»Ach, da fällt mir noch was ein
zu dem Mann aus Zimmer 4«, sagte Rufus, »er nimmt sich beim Frühstück immer
zwei Brötchen und zwei Eier mit, für unterwegs.«
Benedikt wollte höchstens die
Hälfte meines Berichts über Mercedes und ihren Herzallerliebsten glauben. Er
konnte aber nicht sagen, welche Hälfte er glaubte und welche nicht!
46. Kapitel
Am nächsten Morgen hatte ich
eine Viertelstunde Verspätung, weil Benedikt beim Aufstehen Verspätung gehabt
hatte.
In der Hotelhalle stand Rufus
mit einer Frau, die aussah wie eine Dame: schätzungsweise vierzig, mit
tadelloser, blonder Dauerwellfrisur, und sie sagte laut und aufgedreht: »Wirf
sie raus, wenn sie so unzuverlässig ist.«
Rufus sagte: »Ah, da kommt
sie«, und winkte mich zu sich. Ich erschrak, das mußte die Chefin sein. Sie
trug ein dunkelblaues Trachtenkostüm mit grünen Passen und grünen Stickereien
auf dem Revers. Sehr dezent, sehr teuer. Neulich hatte ich in einer
Fernsehmodenschau ein ähnliches Kostüm gesehen, und die Moderatorin hatte
erklärt: »Dieses Outfit ist die ultimative Antwort auf die Frage: Was trägt der
Adel zur Jagd?«
»Viola, das ist unsere Chefin,
Frau Schnappensiep«, sagte Rufus zu mir, und zu ihr: »Bärbel, das ist Frau
Faber.«
Ach, er duzte sich mit der
Chefin.
»Grüß Gott«, sagte die Chefin
und schüttelte mir die Hand, »sind Sie zufrieden?«
Verblüfft sagte ich: »Ja, danke«
und »Grüß Gott«, obwohl ich sonst nie Grüß Gott sage, und: »Sind Sie auch
zufrieden?« Dann sagte ich
Weitere Kostenlose Bücher