Der Mann, der's wert ist
schnell: »Es tut mir leid, daß ich zu spät komme,
ich bleibe dafür länger, ich hab den Bus verpaßt, aber morgen...«
»Ja, ja, ja«, unterbrach sie mich,
»Herr Berger ist sehr zufrieden mit Ihnen.« Erleichtert und so nebenbei wie
möglich zog ich meinen Mantel aus, sie sollte nicht sehen, wie abgetragen er
war, vor allem an den Taschen. Leider trug ich heute ein schwarzes Sweatshirt,
hoffentlich konnte sie ein sauberes schwarzes Sweatshirt von einem schmutzigen
schwarzen Sweatshirt unterscheiden. Anscheinend konnte sie das, denn sie sagte
äußerst freundlich: »Ich höre, Sie sind Innenarchitektin. Wissen Sie, das wäre
ich auch gerne geworden. Und wissen Sie, dieses Hotel entspricht durchaus nicht
dem Ambiente, welches ich persönlich bevorzuge. Hier fehlt das...«, um das
passende Wort zu finden, schnippte sie die Finger vor ihrem Gesicht, »...das
gewisse Etwas... das Flair.« Sie trug einen Ring mit einem Smaragd umgeben von
Brillanten, der Ring war so groß wie ein Bleistiftspitzer.
Stumm und zustimmend sah ich
sie an.
»Wissen Sie, ich habe leider
keine Zeit, mich darum zu kümmern, mein Mann ist Notar, ich habe zwei
halbwüchsige Kinder und einen Hund und ein großes Haus zu führen, Sie wissen,
was das bedeutet.«
Ich nickte geschmeichelt, weil
sie mir zutraute, zu wissen, was das bedeutet.
»Wissen Sie, ich habe so wenig
Zeit, daß ich mich eigentlich mit dem Gedanken trage, das Anwesen zu verkaufen.
Ich hätte diesen Schritt sicherlich längst getan, wenn ich ihn nicht hätte«,
sie deutete mit der linken Hand auf Rufus, an dieser Hand trug sie einen
bohnengroßen Brilli, »...dennoch, hier fehlt die weibliche ordnende Hand.« Sie
lächelte mit tadellosen Zähnen und sagte zu Rufus: »Du wirfst die Schenk raus
und suchst Ersatz.«
»Hab ich doch schon«, sagte
Rufus, »jetzt kommt ja Frau Faber täglich.«
»Gut«, sagte sie, sah auf ihre
brillantenumrandete Uhr: »Wir müssen jetzt die Abrechnungen durchsehen, ich muß
sofort wieder weg, Benni muß zum Tierarzt und die Micki zur Ballettstunde, du
weißt, was das bedeutet.« Sie schüttelte mir die Hand: »Hat mich sehr gefreut,
schöne Zeit noch.« Sie ging ins Kontor, Rufus gab mir meinen Arbeitsplan und
folgte ihr.
— Welch vornehme Chefin dieses
unvornehmen Hotels, dachte ich. Aber sie war sehr nett.
Eine Stunde später kam Rufus
mit einem Kännchen Kaffee. »Nun kennst du Frau Schnappensiep.«
»Sie ist sehr nett.«
»Vor allem stellt sie sich
immer alles so einfach vor. Sie glaubt, mit ein paar netten Sprüchen läßt sich
alles lösen. Sie hat mal ein Buch gelesen über Mitarbeiter-Motivation. Ich
dachte vorher, ich hör nicht recht, als sie erzählte, sie wollte
Innenarchitektin werden. Jura wollte sie studieren, aber dann hat sie einen
Notar geheiratet, weil das schneller ging.«
»Warum duzt du dich mit ihr?«
Rufus lachte: »Wahrscheinlich
gehört das zur Mitarbeiter-Motivation. Nein, wir kennen uns schon ewig, das hat
sich ganz natürlich so ergeben. Sie duzt sich auch mit Hedderichs. Kleine
Hotels sind immer wie Familienbetriebe.«
»Sie ist so reich«, sagte ich,
»warum läßt sie das Hotel vergammeln?«
»Sie ist nicht so reich, wie
sie tut. Sie gibt gern an. Und weil ihr Mann der Herr Dr. Notar ist, gehört sie
automatisch zu den besseren Kreisen.«
»Aber sie verdient doch viel
mit dem Hotel.«
»Eben nicht. Der Laden geht
nicht gut. Sie hat auch keine Lust, sich drum zu kümmern. Sie hat das Hotel
geerbt, und seit sie es geerbt hat, wird es von einem Geschäftsführer geleitet.
Wenn ihre Kinder, die Micki und der Schnappi — Schnappi ist der Sohn,
eigentlich heißt er Benjamin, und der Hund hieß ursprünglich Schnappi, aber
jetzt heißt der Hund Benni, seit ihr Sohn in der Schule Schnappi genannt wird —
also früher hat sie behauptet, wenn die alle aus dem Gröbsten raus sind und
selbst autofahren können, würde sie das Hotel führen. Aber letztes Jahr hatte
ihr Mann einen Herzinfarkt, jetzt geht es ihm wieder gut, aber jetzt muß sie
für den Rest seines Lebens warten, bis ihr Mann aus dem Gröbsten raus ist.
Deshalb bin ich hier eingestellt, weil sie mich für einen vertrauenswürdigen
Menschen hält. Sie kann sehr mißtrauisch sein.«
Bestimmt war Rufus
vertrauenswürdig, aber wenn man ihn ansah, wirkte er eher mißtrauenswürdig.
»Glaubst du, Frau Schnappensiep hält mich für vertrauenswürdig?«
»Unbedingt. Sie behauptet, für
sie spiele es keine Rolle, aus welcher Familie jemand ist, welche
Weitere Kostenlose Bücher