Der Mann, der's wert ist
Schuppen, die grün und blau und
golden umrandet waren. »Was ist das?«
»Das ist ein Reisemitbringsel
von Bärbel Schnappensiep. Sie kann eine Pekingente nicht von einer Fledermaus
unterscheiden und hat behauptet, dies sei ein altchinesischer Dinosaurier.« Er
nahm das Modell, drehte es mißbilligend in den Händen — auf dem Bauch hatte es
zwei sich kreuzende blaue Striche, genauer gesagt Schwerter — kein Zweifel, es
war Meißener Porzellan. Alle Achtung, dachte ich.
Rufus sagte: »Am ehesten könnte
es ein frühes Krokodil sein, aber der Kopf mit diesen kleinen spitzen Ohren
gehört eher zu einem Känguruh.« Er stellte es mit gerümpfter Augenbraue zurück
in die Ecke. »Jetzt zeig ich dir ein wirklich gutes Modell«, er griff einem
häßlichen rotweiß getüpfelten Gummivieh an den Hals. Es stand in der zweiten
Etage, so groß, daß es mit Kopf und erhobenem Schwanz ans obere Regalbrett stieß.
»Das ist mein Compsognathus, das Modell ist fast originalgroß.«
»Was, so klein! Das soll ein
Dinosaurier sein?«
»Diese waren nicht größer als
Hühner. Es ist wie mit den Hotels, nicht jedes ist ein Hilton.« Er zeigte auf
ein kleineres Plastiktier, das in der gleichen Reihe stand: »Das ist ein
Nanosaurus — ein Tyrannosaurier, trotzdem nicht größer als ein Schäferhund.
Nicht alles, was ausgestorben ist, war groß oder großartig.«
»Und was ist das?« Ganz oben
stand ein orangerotes Monster, auf den Hinterbeinen aufgerichtet, mit einem
silbermetallic angemalten Horn über dem breiten Maul und flügelähnlichen
Metallic-Zacken um den Hals. An seiner Seite steckte ein Aufziehschlüssel aus
Blech wie bei einer Spielzeugmaus.
»Das soll ein Horndinosaurier
sein, ein Ceratopsier«, Rufus nahm das Hornvieh, drehte den Aufziehschlüssel,
setzte es aufs Fensterbrett. Knatternd fuhr das Monster das Fensterbrett
entlang, sprühte dabei aus dem breiten Maul Funken wie ein Gasanzünder.
»Niedlich«, sagte Rufus, »manche aus dieser Familie waren auch nicht größer als
ein Mensch.«
Ich versuchte, mir einen
Dinosaurier in menschlicher Größe vorzustellen — vielleicht lag es an dem
Orangerot, jedenfalls fiel mir Nora ein. Irgendwie brachte mich das auf die
Frage: »Was glaubst du, warum die Dinosaurier ausgestorben sind?«
Rufus stoppte das Monster und
blickte mich mit enttäuscht hängendem Flusenbart an: »Jetzt kennen wir uns
schon seit sechs Wochen, und ich hatte gehofft, du gehörst zu den wenigen, die
mir diese Frage ersparen. Ich hab keine Ahnung, warum die Dinosaurier
ausgestorben sind.«
»Du hast das doch studiert!«
»Da kennt man häufig weniger
Antworten als jeder Laie. Statt dessen viel mehr Fragen. Ich habe mich in einer
Arbeit mal darüber ausgelassen, was an der Theorie, Ursache sei eine Klimaveränderung,
kombiniert mit der These, daß Dinosaurier keine Geschlechts-Chromosomen hatten,
falsch ist. Der erste Faktor ist okay — in der Kreidezeit war das Klima
tropisch, dann wurde es kalt, das wird heute als Tatsache gehandelt. Und es ist
eine Tatsache, daß Krokodile und Echsen, die nächsten Verwandten der
Dinosaurier, keine Geschlechts-Chromosomen haben. Ob aus einem Ei ein
männliches oder ein weibliches Tier schlüpft, wird bei denen nur durch die
Temperatur bestimmt, bei der das Ei ausgebrütet wird.«
»Wie geht denn das?«
»Ganz einfach — die verbuddeln
ihre Eier in der Sonne im Sand, und aus den Eiern, die oben liegen und mehr
Wärme abbekommen, werden Männchen, aus den kühler liegenden Eiern werden Weibchen.
Bei manchen Reptilien ist es umgekehrt, da werden die wärmer gebrüteten Eier zu
Weibchen. Jedenfalls ergibt sich daraus die Überlegung, daß es, wenn es
dauerhaft kälter wurde, zunehmend mehr Tiere von einem Geschlecht gab. Und da
kann man viel rechnen — man weiß ja nicht, ob dieses große Massensterben eine
Million Jahre dauerte oder ob alle an einem Wochenende das Kreidezeitliche
segneten. Wenn es mehr Weibchen gibt als Männchen, dauert es mit dem Aussterben
lang. Wenn es mehr Männchen als Weibchen gibt, geht es schnell.«
»Warum?«
»Weil ein Weibchen immer nur
dieselbe Maximalzahl Kinder bekommen kann, egal wie viele Männchen rumrennen.
Aber ein Männchen kann sehr, sehr viele Weibchen zu Müttern machen.« Rufus
grinste mich an, aber nicht anzüglich: »Das ist das biologische Alibi der alten
Patriarchen, deshalb darf ein Mann mehrere Frauen haben. Aber mit diesem Alibi
ist es völlig unlogisch, daß diese Männer sich nur Söhne als
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