Der Mann, der's wert ist
und drückte sie fest an sich.
Auf der Heimfahrt schwärmte uns
Nora die Ohren voll. Das war genau der Mann für ihre Medi. Ein Rechtsanwalt als
Schwiegersohn, das wäre passend. Ich ärgerte mich: Ihn sah sie sofort mit ihrer
Tochter im staatlichen Ehestand. Keine Rede davon, daß man heutzutage nicht
mehr heiraten muß.
Als ich im Bett mit Benedikt
darüber reden wollte, reagierte er stinksauer: Es sei ihm völlig egal, wen
seine Mutter verheiratet sehen wolle und wen nicht. Und es sei absurd von mir,
zu denken, Thomas hätte nicht gewußt, wo das Klo ist. Er sei eben in Gedanken
schon im Schlafzimmer gewesen. An dem Mann sei wirklich nichts auszusetzen. Und
ich hätte wohl doch ein falsches Bild von Mercedes.
56. Kapitel
Benedikt hatte in der nächsten
Woche überhaupt keine Zeit für das Hotelprojekt, er schimpfte auf Onkel Georg,
der genau wußte, daß sich Entwürfe nicht nebenbei aus dem Ärmel schütteln lassen,
ihn aber trotzdem dazu verdonnert hatte.
Es kam vor allem darauf an, was
Benedikt aus der Hotelhalle machen würde. Ihm schwebte eine Symbiose aus
postmoderner und ultramoderner Architektur vor, ein international aktueller
Stil, der Benedikts persönliche Handschrift als Architekt zeigen sollte. Dazu
mußte er eine völlig neue Struktur des Hotels schaffen, und dieser Struktur
mußte die Raumgestaltung entsprechen, also mußte ich abwarten. Außerdem war ich
sowieso den ganzen Tag als Putzfrau beschäftigt.
Aber dann fiel mir etwas ein,
womit ich bereits anfangen konnte: Ich konnte sämtliche Räume fotografieren, um
den Stand vor der Renovierung zu dokumentieren. Rufus fand die Idee sehr gut:
Wenn man nach Fossilien gräbt, wird vorher auch alles fotografiert und
numeriert. Benedikt besorgte mir sogar für meine Kamera ein sehr gutes Stativ
aus dem Büro.
Ich fotografierte jede Wand im
ganzen Hotel und pinnte für jedes Foto einen Zettel auf die fotografierte Wand,
auf dem Zimmernummer und Himmelsrichtung stand, so würde man später problemlos
erkennen können, was wo gewesen war. Es war zwar viel Vorarbeit, aber Rufus
gefiel meine exakte Arbeitsweise.
Bis ich alle Zimmer, alle
Bäder, Duschen, Klos, Abstellräume, die Flure und alle Außenansichten
fotografiert hatte, verging die ganze Woche, und ich verbrauchte fünf Filme.
Zum Schluß, spät am
Freitagnachmittag, fotografierte ich das Dachgeschoß. So kam ich zum erstenmal
in Rufus’ Zweizimmerwohnung.
In seinem Schlafzimmer war das
Bett so ordentlich gemacht wie in einem Hotelzimmer. Eine Wand war von oben bis
unten Bücherregal. »Hier, meine Juwelen«, sagte Rufus und zeigte auf sechs
Bände >ILLUSTRIERTES THIERLEBEN<. »Das ist die erste Auflage von Brehms
Tierleben, von 1876.«
Sonst gab es nichts
Bemerkenswertes zu sehen. Ich schrieb einen Zettel, »Schlafzimmer Rufus Berger
/ 4. Etage«, pinnte ihn an die Wand, ein Himmelsrichtungsschild darunter,
fotografierte rundum und folgte Rufus ins Zimmer nebenan.
Dort stand ein schöner, antiker
Bücherschrank mit verglasten Türen, darin auf vier Etagen nichts als Saurier
und Saurierskelettmodelle. An die hundert Stück, zwischen einem Zentimeter und
dreißig Zentimeter hoch. Die meisten aus Plastik, einige aus Holz, Porzellan,
Plüsch, einer war aus einem Tannenzapfen gebastelt.
»Kennst du die alle?«
»Nein. Man kennt von vielen nur
einen Zahn oder einen Knochen. Die können ziemlich anders ausgesehen haben, es
gibt laufend neue Modelle. Dieser zum Beispiel«, Rufus öffnete den Schrank und
nahm vom obersten Regalbrett einen, der längs über den Rücken einen
aufgeklappten Fächer hatte, »bei diesem Modell kann man unmöglich sagen, ob das
ein ruhender Spinosaurus sein soll oder ein Dimetron, man kann die Beinstellung
nicht einschätzen. Falls es ein Dimetron ist, ist es kein Dinosaurier.«
»Er sieht aber aus wie ein
Dinosaurier.«
»Leider. Aber als Dimetron
wär’s ein Archosaurus und hier fehl am Platz.« Er zeigte aufs obere Regalbrett:
»Hier stehen die Kreide-Dinosaurier, drunter die Jura-Dinosaurier, dann die
Dinos aus der Trias, ganz unten aus dem Perm die Saurier-Vorfahren, die noch
keine Dinos sind.« Rufus betrachtete den problembeladenen Saurier mit dem
aufgeklappten Fächer auf dem Rücken, sagte zu ihm: »Eines Tages werde ich mich
endgültig entscheiden, wo du hingehörst« und stellte ihn in die unterste Reihe.
Da stand in einer Ecke, fast versteckt, der schönste von allen, ein Drache mit
Flügeln, aus Porzellan mit feinst modellierten
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