Der Mann, der's wert ist
Möglichkeiten.«
»Gemessen an den unbegrenzten
Möglichkeiten, war Benedikts Entwurf ziemlich begrenzt«, lästerte Tanja.
»Meint das dein Detlef?«
»Jedenfalls hat Benedikt nur
sein ewig gleiches Schema wiederholt.«
Glücklicherweise ging da
endlich das Licht aus, und ein Typ mit Smokingjacke, aber darunter nackter
Brust, mit Jeans und Turnschuhen betrat die Bühne. Großer Applaus, auch ich
klatschte begeistert, weil ich nicht länger Tanjas Gemecker hören mußte.
Der Smokingtyp verbeugte sich,
bis kein einziger mehr klatschte. »Liebe Freunde, liebe Herrn und Mädels, da
bin ich endlich wieder, ihr kennt mich ja alle. Aber ich begrüße auch all
diejenigen, die mich bisher nicht kannten.« Vorn klatschte einer. »Und
besonders herzlich grüße ich alle meine Fans, die heute nicht da sein können.«
Logischerweise klatschte keiner. »Ich finde es supertoll, daß ich das über die
Grenzen unserer Metropole hinaus bekannte Duo >Die
Großstadt-Glamour-Girls< ansagen darf: Lila-Lulu und Divine! Oder, wie wir
Insider der Avantgarde-Szene sie nennen: >Die Quietschenden Titten<. Die
Mädels sind superliebe Freundinnen von mir. Lila-Lulu wird zuerst mein
Lieblingslied singen. Also Applaus!«
Ein Typ mit Stoppelbart im
platzengen lila Pailettenfummel hüpfte auf die Bühne. Seine Strümpfe bestanden
nur aus Laufmaschen, durch die Laufmaschen standen seine Beinhaare raus. An
seinen ausgelatschten Stöckelschuhen war die lila Schuhfarbe vom Selbstfärben
an allen Gehfalten abgeplatzt. Er ließ sich ebenfalls solange wie möglich
beklatschen. Dann rief er ins Mikro: »Huhu, ich bin die Lila-Lulu von
Frankfurz« und machte mit dem Mund Furzgeräusche.
Erneuter begeisterter Applaus.
Ein Mann mit unauffälligem Pullover setzte sich unauffällig an den Flügel. Er
haute pathetisch in die Tasten.
»Ich komm jetzt, ich komm
jetzt!« kreischte Lila-Lulu. »Ich komm jetzt mit meinen Lieblingslied!« Er
stemmte die Arme in die Hüften: »Meine Herren, sagen Sie mir... kann denn Liebe
Sünde sein?« Riesenapplaus. Der Mann am Flügel intonierte den berühmten
Zarah-Leander-Song. Lila-Lulu stöhnte: »Kann denn Liebe Sünde sein?« Er
versuchte, wie Zarah Leander zu singen, klang aber wie ein verstopfter
Staubsauger. »Darf es keiner wissen, wenn man sich fickt, wenn man einmal alles
vergißt... und fast in die Hose pißt? Vor Glück!« Dann rief er tuntig: »Huch,
Liebling, ich hab vergessen, meine Pille zu nehmen, vor Glück!« Dabei schwenkte
er seinen Hintern so blöde hin und her, wie es keine Frau je tun würde und
niemals Zarah Leander. Und er drückte dauernd an seinem Schaumgummibusen herum,
und die Busen machten Quietschtöne. Jedesmal, wenn ein Busen quietschte,
quietschten auch die Fans. Die Stelle, wo es heißt, daß die kleinen Spießer immer
nur von Moral reden würden, wiederholte Lila-Lulu so lange, bis sein Gesang im
Beifall der versammelten Nichtspießer unterging.
Der Ansager kam wieder: »Jetzt,
liebe Freunde und Herren und Mädels, jetzt darf ich die fettere Hälfte, hahaha!
der Quietschenden Titten ansagen: Unsere Divine! Divine, du Schwein, komm rein,
hahaha!«
Divine, wirklich dick wie ein
Mastschwein, in eine trägerlose rosa Paillettenpelle gezwängt, hob zur
Begrüßung die Arme über den Kopf — er hatte sich Toupets unter die Achseln geklebt.
Das hätte Annabell sicher gefallen. Nachdem sich der Beifallsorkan gelegt
hatte, sangen Lila-Lulu und Divine gemeinsam einen alten Katja-Ebstein-Hit:
»Was hat sie, was ich nicht habe?« Divine zeigte dabei anklagend auf Lila-Lulu,
der eine Hand zwischen die Beine preßte wie eine Frau, die dringend aufs Klo
muß. Als das Lied zu Ende war, drückte er mit beiden Händen auf seinen
Oberschenkel, und es pinkelte auf die Bühne. Vermutlich hatte er einen
wassergefüllten Ballon unterm Rock. Die Fans kriegten sich nicht mehr ein. Ich
fand es peinlich, klatschte aber trotzdem, damit niemand dachte, ich hätte was
gegen Schwule. Tanja klatschte nicht. Michael ignorierte das Geschehen völlig,
er schrieb in sein Filofax.
Divine reckte seinen
Mastschwein-Hintern dem Publikum entgegen. Lila-Lulu kreischte: »Weil wir so
viele begnadete Bläser unter uns haben, oder vor uns, hahaha, jetzt was für
Freunde der Blasmusik!« Und der Mann am Flügel spielte: »Der Wind hat mir ein
Lied erzählt«, wieder ein Zarah-Leander-Hit. Lila-Lulu kniete sich vor den
Arsch von Divine und sang: »Der Wind hat mir ein Lied erzählt«, und jedesmal,
wenn das Wort »Wind«
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