Der Mann, der's wert ist
vorkam, furzte Divine, und das Publikum johlte.
Am Schluß hieß es: »Komm, komm,
komm...«, und da furzte Divine nicht, sondern stöhnte orgasmusmäßig. Nach
diesem Höhepunkt gab es eine Pause.
Michael klappte sein Filofax
zu: »Fertig ist die Besprechung.«
»Lies vor«, sagte Rufus.
»Im Avantgarde-Theater-Zentrum
geben sich an den kommenden Wochenenden einmal mehr die über die Grenzen unserer
Metropole hinaus gefeierten Travestie-Stars Lila-Lulu und Divine ein
Stelldichein. Lila-Lulu und Divine — im bürgerlichen Leben sind die Damen
Herren — offenbaren ihr verborgenes weibliches Potential. Die breite Palette
ihrer Ausdrucksmöglichkeiten reicht von zarten Zwischentönen bis zur
lebenssprühenden Burleske, macht ihre Show zur Entdeckungsreise einer
grenzüberschreitenden Sexualität. Hier wird keine bierernste feministische
Selbstfindungsproblematik zelebriert, hier hält die Veuve-Cliquot-frivole
Clique der Travestie dem Spießertum einen kritisch-bissigen Spiegel vor. Ein
Muß für progressive Männer, aber auch für Frauen, die bereits gelernt haben,
über sich selbst lachen zu können. Wieder eine Show von Weltstadt-Esprit, die
einmal mehr zeigt, was Avantgarde in unserer Metropole bedeutet. Das Publikum
dankte mit Standing ovations.«
»Beachtlich schnell hast du das
geschrieben«, staunte Rufus. »Kein Problem, das ist das
Standard-Kultur-Gesäusel. Und als Überschrift nehme ich:
>Grenzüberschreitende Travestie als Aufbruch in die Welt verdrängter
Emotionen< — so was kommt bei unseren Lesern an.«
»Warum soll es Avantgarde sein,
wenn Männer vorführen, daß Frauen grauenhaft sind und nicht singen können?«
fragte Tanja wütend. »Ein abgegriffeneres Thema gibt’s doch nicht.«
»Würde ich über die Kultur
dieser Stadt so schreiben, wie sie tatsächlich ist, würde man merken, wie
überflüssig mein Job als Kulturberichterstatter ist«, antwortete Michael
genauso wütend. »Davon abgesehen: >Standing ovations< gab es auch nicht.«
»Da drüben sind zwei
aufgestanden.«
»Die sind aufgestanden, um zu
gehen.«
»Sie sind eindeutig
aufgestanden, während geklatscht wurde, also waren es Standing ovations.
Außerdem schreiben wir das jetzt immer.«
»Würden Frauen so eine Show als
Männer verkleidet machen, wäre es keine Avantgarde-Kunst, nur dämlicher
Männerhaß.«
»Wenn es dir nicht gefällt,
kannst du ja gehen. Dann schreibe ich noch dazu... nur eine einzelne Dame, in
ihrer weiblichen Ehre gekränkt, verließ demonstrativ das Avantgarde-Theater...
ich schreib es gern, dadurch wird’s für die progressiven Spießer noch
attraktiver.«
»Vergiß es. Aber du hättest
mich vorher warnen können. Oder hast du auch pädagogische Ambitionen?«
»Nein. Ich dachte, du kennst
unser Avantgarde-Theater.« Rufus schaffte es, das Thema zu wechseln. »Weißt du
jetzt, was du über den Kochkurs schreibst?«
»Nein. Die Kochstory ist zu
langweilig, ich will das mit einer Glücksstory aufmotzen. So nach der Art
>Wo Töpfe ihren Deckel finden< — gibt es irgendwelche Erfolgsmeldungen
bei euch?« Tanja lachte.
Rufus seufzte: »Soweit sind wir
noch nicht. Aber eigentlich habe ich doch einen Erfolg zu melden«, er sah Tanja
bedeutungsvoll an.
»Welchen?«
»Meinen Entschluß, nicht länger
auf die Entscheidungen anderer zu warten, sondern selbst Entscheidungen zu
fordern.« Genau das hatte ich auch beschlossen. »Auf was hast du gewartet?«
rief ich.
»Vielleicht habe ich auf eine
Frau wie Tanja gewartet, die mir sagt, wo’s lang geht.«
»Ist ja toll!« Und Tanja küßte
Rufus mitten auf die Augenbraue. »Haltet mich auf dem laufenden«, sagte
Michael.
Die Quietschenden Titten
hüpften wieder auf die Bühne. Sie hatten sich mit Lippenstift beschmiert wie
Clowns. Sie sangen wieder so ein altes, bekanntes Lied, das man immer gerne
hört: »Küß mich, bitte, bitte, küß mich...« — aber sie sangen es natürlich
anders, sie röchelten: »Fick mich, bitte, bitte, fick mich, bis das letzte
rauskommt, dann mach ich ‘ne Pause! Aber nur ‘ne kleine.«
Ich zog die Mundwinkel nach
oben, damit man mir nicht nachsagen konnte, ich sei eine humorlose Emanze.
Meine Gedanken kreisten um Rufus und Tanja. Wenn er auf sie gewartet hatte,
dann müßte er jetzt im Glück schwimmen, die ganze Welt umarmen wollen, aber er
umarmte nicht mal Tanja. Und Tanja war in die Betrachtung ihres reparierten
Opalrings versunken.
Als die Quietschenden Titten
endlich Ruhe gaben, zischte Michael: »Mir reicht’s.
Weitere Kostenlose Bücher