Der Mann, der's wert ist
daß du jetzt deinen Vater besuchst und daß du mit
Mercedes unterwegs bist«, schrie ich heulend.
Benedikt schwieg.
Dann hörte ich Mercedes sagen:
»Ich sitze hier im Auto neben ihm. Also dann, alles Gute.«
Dann war wieder Benedikt am
Telefon.
Ich heulte nur.
»Viola, ich glaub, daß es dir
hilft, wenn du weißt, daß dein Onkel Georg heute abend mit deinem Vater
telefoniert hat. Du mußt es deinem Vater nicht mehr selbst sagen.«
»Und was soll ich tun?«
Nein, es war nicht der schlimmste
Augenblick meines Lebens, als Angela sagte, daß sie von Benedikt schwanger sei.
Der schlimmste Augenblick meines Lebens war der Moment, nachdem Benedikt gesagt
hatte: »Viola, du kannst jederzeit zu deinem Vater zurück.«
Und da war wieder mein Geld zu
Ende.
Das waren niemals Benedikts
letzte Worte gewesen. Ich rannte durch die Straßen, um jemand zu finden, der
einen Zehnmarkschein wechseln konnte oder mir eine Telefonkarte verkaufen
würde. Ich fand niemand. Ich rannte nach Hause, um Benedikt von dort anzurufen.
Nora sah fern, bewachte das Telefon. In einer Hosentasche fand ich etwas
Kleingeld, rannte zur Telefonzelle zurück, schaffte es tatsächlich, mit meinen
Zehnpfennigstücken Benedikt anzuwählen, aber er war schon in seinem Hotel. Und
ich wußte nicht, in welchem. In meiner Verzweiflung kam ich auf die geniale
Idee: Ich rief Rufus an, er hatte sicher, ganz bestimmt, ein Verzeichnis
sämtlicher Hotels. Rufus würde mir sagen können, wo Benedikt war, was ich
machen sollte, um ihn zu finden. Und Rufus war am Apparat der Rezeption.
»Hallo, was ist los?« rief er, »wo bist du?«
Ich weiß nicht mehr, was ich
Rufus erzählte. Ich hörte im Hintergrund Tanja lachen, sie sei ganz zufällig im
Hotel vorbeigekommen, und dann hörte Tanja auf zu lachen. Und Rufus sagte:
»Viola, bitte geh jetzt nach Hause. Wir kommen so schnell wie möglich.«
Ich ging zurück, blieb vor dem
Haus stehen, was sollte ich dort, durfte ich das Haus überhaupt noch betreten?
Ich setzte mich an den Straßenrand, starrte in die schwarze Ferne, auf die
schwarze Straße vor mir, dachte an nichts als an Rufus’ klapprigen VW-Kombi,
der kommen würde, sofort oder demnächst oder irgendwann.
Irgendwann bremste ein Taxi vor
mir. Heraus stieg Tanja. »Wie kannst du dich in deinen dunklen Klamotten nachts
auf die Straße setzen! Das Taxi hätte dich beinah überfahren!«
»Mir egal.«
»Also komm«, sagte Tanja
energisch und ging zum Haus, »wir holen jetzt das Überlebensnotwendige.«
Wozu brauchte ich das
Überlebensnotwendige? Aber ich schloß ihr willenlos die Tür auf.
Nora öffnete ihre
Schlafzimmertür. Ich sah sie nicht an, ging in mein Zimmer.
»Guten Abend«, sagte Tanja,
»entschuldigen Sie bitte, ich wollte nur kurz was abholen. Ich hoffe, ich habe
Sie nicht geweckt. Gute Nacht.«
»Ich dachte, es ist mein Sohn«,
sagte Nora erstaunt. »Sind Sie eine Bekannte von Herrn Windrich?«
»Ich kenne ihn.«
»Mein Sohn ist zur Zeit auf
Fortbildungsseminar...«
»Ich will nichts von Ihrem
Sohn. Mein Taxi wartet unten. Gute Nacht.«
Nora verschwand.
Unter Tanjas Anleitung packte ich
aus meinem Regal irgendwelche Unterwäsche, Pullis und Schuhe und Kosmetikbeutel
in einen Koffer. »Nimm deinen Mantel mit«, sagte Tanja, »es kann wieder kalt
werden.«
Es war bereits eiskalt.
»Wo fahren wir hin?«
»Ins Hotel natürlich. Rufus
konnte nicht mit, er muß aufs Hotel aufpassen, außerdem hat ihn dein Anruf
nervlich völlig fertiggemacht.« Sie lachte, als sei das lustig.
Rufus wartete am Hoteleingang,
benahm sich, als sei ich das fieberhaft erwartete Spenderherz für einen
operationsbereiten Milliardär oder sonstwas Lebensrettendes, in letzter Sekunde
Angeliefertes. Und dabei war ich das Gegenteil von alledem. Er hätte gedacht,
daß ich in Zimmer 11 wohnen könnte, ob mir das Zimmer recht sei? Ich hätte doch
mal gesagt, daß mir die 11 am besten gefällt. Ob er meinen Vater anrufen solle?
Mein Vater würde sich sicher Sorgen machen. Tanja sagte, nachts um eins meinen
Vater anzurufen, sei übertrieben. Und ich solle ein Glas Rotwein trinken mit
einer Schlaftablette. Rufus sagte, das könnte mir schaden. Tanja sagte, das
könnte nur nützen. Mir war alles egal.
Sie brachten mich in Zimmer 11,
das Zimmer mit der Margeritentapete und einem französischen Bett. Tanja brachte
ein Glas Rotwein, in dem Krümel sprudelten. Plötzlich ging es mir besser —
neben dem Bett stand ein Telefon. Endlich ein Telefon griffbereit.
Das waren
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