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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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Rufus
sagte, die Frauen täten ihm leid, sie müßten für diese Ausbildung viel Geld
bezahlen und eine Strickmaschine kaufen, nur um einen Job zu bekommen, der mehr
als fragwürdig sei. Einmal sah ich morgens alle zusammen weggehen — keine trug
einen strickmaschinengestrickten Pullover oder sonstwas
Strickmaschinengestricktes, sie trugen alle Jeans, Blusen und Stoffjacken.
Überall waren Menschen, denen man nicht ansah, was sie machten, was sie
fühlten. Alle wirkten ganz normal. Aber überall in diesem Hotel waren
verzweifelte Existenzen.
     
    Rufus wollte von mir kein Geld
für Zimmer 11 nehmen. Das Hotel sei sowieso nicht ausgebucht. Und er könne das
Frau Schnappensiep gegenüber ohne weiteres vertreten. Aber ich wollte nichts
geschenkt. Schließlich schlug Rufus vor, soviel zu nehmen, wie ich für mein
Zimmer an Mercedes bezahlt hatte. Ich war einverstanden. »Du rechnest dann die
Monatsmiete auf Tage um«, sagte ich.
    »Auf Tage umrechnen, warum denn
das?«
    »Es wird sich nur um Tage
handeln, bis sich alles geklärt hat. Meinst du nicht?«
    »Ja so, ja. Natürlich.« Er betrachtete
seine Plastiksandalen, als er sagte: »Das Charakteristische an Wundern ist, daß
sie ganz plötzlich auftreten.«
     
    In der zweiten Woche nach
Ausbruch der Katastrophe zerbrach mir beim Abspülen ein Zahnputzglas. Es
zerbrach wie mein Leben, ein Sprung mittendurch. Was für ein Hohn, daß ich am
gleichen Tag einen richtigen Marienkäfer fand mit nur zwei Punkten.
    Alles war Angelas Schuld. Sie
hatte die Katastrophe ins Rollen gebracht, wie Frauen wie sie seit Anbeginn der
Geschichte Katastrophen ins Rollen bringen: Sie war mit dem Mann einer anderen
ins Bett gestiegen.
    Rufus erzählte mir eines
Abends, daß Tanja bereits vor Wochen angedeutet hätte, daß es mit Benedikt so
enden würde. Sie hätte es gewußt, von Detlef.
    »Warum habt ihr es mir nicht
gesagt?«
    »Hättest du es geglaubt?«
     
     
     

74. Kapitel
     
    Ich verließ das Hotel nicht,
ich hatte Angst, den Anruf zu verpassen.
    Und ich konnte das Hotel nicht
verlassen, ich hatte Angst, draußen sofort von einem Auto überfahren zu werden.
Ich hatte das Gefühl, zu einem Nichts geworden zu sein, kein Autofahrer würde
mich sehen.
    Aber einmal mußte ich hinaus,
ich mußte dringend Tampax kaufen. Als ich die Drogerie betrat, unterhielten
sich die Verkäuferinnen weiter, als sei ich unsichtbar. Ich stand eine Weile
rum, sagte »Guten Tag«, hustete, niemand reagierte. Ich ging so unbemerkt, wie
ich gekommen war. Nun hatte ich die Gewißheit: Ich war zu einem Nichts
geworden.
    Zitternd kam ich ins Hotel
zurück. Und dann ging Rufus und besorgte die Tampax. Er brachte eine Packung
Normal und eine Packung Super. Nie zuvor hatte sich ein Mann für mich in eine
so peinliche Situation begeben.
     
     
     

75. Kapitel
     
    Wie die Tage zu Wochen wurden,
weiß ich nicht. Rufus fragte jeden Abend, ob ich oben in seiner Wohnung mit ihm
essen will, oder unten in der Küche, oder mit ihm weggehen will zum Essen.
Nein, nein, nein. Rufus muß ohne mich weggehen, er trifft sich mit Tanja, mit
Metropolen-Michael, und mal geht er abends zu Frau Schnappensiep. Beim letzten
Kochkursabend machte er mit Tanja Erdbeertorte und brachte mir ein großes Stück
mit. Und ein Stück Zwiebelkuchen mit herzlichen Grüßen von Wolfgang, Winfried
und Wolfram.
     
    Ich will in der Hotelhalle
sitzen, es könnte ja sein, jeder Augenblick ist gleich wahrscheinlich, daß
Benedikt kommt. Und außerdem: Wenn ich abends in der Hotelhalle sitze, habe ich
das Gefühl, Gast zu sein, nur für kurze Zeit hier zu sein. Bis alles vorbei
ist.
    Herrn Hedderich ist es recht,
wenn ich mit ihm vor dem Fernseher sitze, dann muß er sich von keinem Gast
stören lassen. Ich gebe die Schlüssel raus, darf auch Anmeldungsformulare
prüfen, er transportiert allenfalls mit dem Kofferkuli Gepäck vom Auto zum
Aufzug. Dafür bekommt er meistens Trinkgeld. Vom Trinkgeld trinkt er ein
zusätzliches Bier. Alles andere interessiert Herrn Hedderich nicht.
    Einmal, in der zweiten Woche,
kommt Frau Schnappensiep zu mir und sagt: »Liebe Frau Faber, Sie sind noch so
jung, davon geht die Welt nicht unter.«
    Alles ist relativ. Demnächst
werde ich sechsundzwanzig, und mein Leben ist schon vorbei.
     
    In der dritten Woche schickt
das Architekturbüro Faber die Pläne vom Hotel zurück. Mein Onkel hat einen
Brief dazu geschrieben: »Wir bedauern sehr, daß unser Büro in Ihrer
Angelegenheit nicht für Sie tätig werden konnte. Für

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