Der Mann, der's wert ist
lebt? Aussichtslos.
Mercedes plapperte weiter über Politik und was sie alles nicht gutheißen konnte
und wie sehr sie unter der permanenten Volksverdummung durch die Politiker
litt. Ich konnte die gefüllte Gans nicht gutheißen, sie war nicht mit Kastanien
gefüllt, sondern mit Tomaten, ich fand, das war ebenfalls Volksverdummung. Aber
natürlich sagt man so was nicht.
Endlich gab es die Geschenke.
Mercedes öffnete zuerst die Geschenke ihres Herzallerliebsten. Im größten
Päckchen, in einer lachsrosa Schachtel mit schwarzem Band, an dem das Etikett
einer Wäscheboutique klebte, war ein cremebeiges Seidennégligé mit
herzchenförmigen Spitzeneinsätzen. Es sah sehr teuer aus, gefiel mir aber
trotzdem nicht. Mercedes zog es gleich an: »Wie genau er immer meinen Geschmack
trifft!« Nora konnte das nur bestätigen. In ihren andern Päckchen war eine
Flasche Chanel Nr. 5, ein Badehandtuch von Yves Saint Laurent, auf dem nur der
Schriftzug Yves Saint Laurent war, eine Puderdose von Guerlain, ein Paar
flaschengrüne Lederhandschuhe, ein Seidentuch von Dior, dessen Muster auch nur
aus dem sich versetzt wiederholenden Schriftzug Dior bestand. Nur über das
Négligé schien sie sich zu freuen — die Lederhandschuhe schenkte sie sofort
Nora weiter — die natürlich genau solche Handschuhe in solch hochwertiger
Qualität schon immer gewollt hatte. Von der Puderdose machte sie nicht mal das
Zellophanpapier ab, obwohl ich gerne gesehen hätte, wie sie innen aussieht,
aber Mercedes ließ sie verpackt und sagte: »Wie Puder eben aussieht.« Um ihr
Négligé nicht zu beschmutzen, zog sie es aus, als sie die andern Geschenke auspackte.
Ich zitterte, als sie den Kunstkalender öffnete, den ich ihr gekauft hatte.
Einen Beuys-Kalender. Wenn Madame Mercedes Beuys als Halstuch trug, hatte ich
überlegt, würde sie sich auch Fotos von gestapelten Filzplatten an die Wand
hängen. Tatsächlich dankte sie huldvoll und schwärmte, wie unglaublich
großartig sie Beuys fände und wie sie darunter leide, daß die Spießer keinen
Zugang zu Beuys finden könnten. Unbestritten gehöre einige Intelligenz dazu,
sein Œuvre zu verstehen, und sie persönlich halte Beuys für einen der ganz
Großen.
Für Nora hatte ich eine
Tischdecke gekauft aus gechintzter Baumwolle mit einem französischen
Blumenmuster auf dunkelgrünem Grund. Wirklich prächtig. Um das
braunorangekarierte Plastikscheusal zu vertreiben, war mir nichts zu teuer
gewesen. Diese Decke würde sogar in dieser Küche einen Hauch von Ästhetik
verbreiten. Ich schlug vor, die Braunorangekarierte sofort gegen das
Blumenwunder auszutauschen.
»In die Küche?« rief Mercedes
entsetzt. »Da paßt sie absolut nicht hin!«
»Du hast recht, da paßt sie
absolut nicht hin«, echote Nora. »Warum nicht?« Ich war völlig irritiert.
»Die Farben beißen sich«, sagte
Mercedes.
»Warum denn?«
»Das zarte Hellgelb in der
Küche beißt sich mit dem Dunkelgrün der Decke.«
»Du mit deiner künstlerischen
Empfindsamkeit merkst das sofort«, sagte Nora.
Ich war platt. Nora und
Mercedes, die klaglos in diesem absolut geschmacklosen Wohnzimmer saßen, in
dieser Umgebung, die höchstens einem Farbenblinden zuzumuten war, erklärten
mir, welche Farben sich beißen! Als hätte ich keinen Geschmack, als wäre ich
nicht Innenarchitektin! Natürlich würde ich nie eine hellgelbe Bluse zu einem
dunkelgrünen Rock tragen, aber diese Decke war nicht nur Dunkelgrün, es war
eine Blumendecke. Und die Staubfäden der Rosen waren so staubgelb wie die
Küche. Und die Margeriten hatten schmutzgelbe Tupfer wie die Flecken an der
Wand! In mir stieg die Wut hoch. Ausgerechnet Mercedes belehrte mich über
Farbkombinationen! Sie mit ihrer tomatenroten Bluse zum rostbraunen Samtrock
und dazu eine beigegelbliche Strickjacke mit fetten Goldknöpfen, um den Hals
eine finnische Silberkette und als krönenden Farbfleck ihr türkismetallic
Lidschatten! Aber ihr sagt natürlich niemand, daß ihre Farbkombinationen
abscheulich sind. Weil man bei Mercedes auf den ersten Blick sieht, daß es
aussichtslos wäre, ihr Farbgefühl beibringen zu wollen. Meine Schwester gehört
auch zu dieser Truppe.
Ich hatte mich mit Elisabeth
oft über solche Leute lustig gemacht — Elisabeth meinte, es sei ein
Naturgesetz: Je geschmackloser eine Person angezogen ist, desto lieber belehrt
sie andere, was guter Geschmack sein soll. Als hätte je ein Mensch diese Leute
um Geschmacksberatung gebeten. Aber weil nie jemand über die
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