Der Mann im braunen Anzug
jemals Pagetts Version über die Geschehnisse jener Nacht auf der Ki l morden gehört?»
«Ja, durch Sir Eustace.»
Ich wiederholte, was mir dieser erzählt hatte, und Harry lauschte aufmerksam.
«Pagett behauptete also, einen Mann gesehen zu haben, der aus der Richtung von Sir Eustaces Kabine kam. Nun, wer bewohnte die Kabine gegenüber von Sir Eustace? Colonel Race. Stellen wir uns nun folgende Situation vor: Colonel Race klettert an Deck und unternimmt den Anschlag auf Sie. Er misslingt. Race flieht rings um das Deck und trifft dabei auf Pagett, der eben aus dem Salon kommt. Was bleibt ihm übrig, als ihn niederzuschlagen und selbst durch den Salon nach unten zu eilen? Dann biegen wir um die Ecke und finden Pagett. Was halten Sie von dieser Version?»
«Sie vergessen dabei eines: Pagett soll steif und fest behauptet haben, dass Sie ihn niederschlugen.»
«Das wäre nicht schwierig zu erklären. Er kommt wieder zu sich – und sieht mich im selben Moment um die Ecke verschwinden. Muss er da nicht annehmen, ich sei sein Angreifer gewesen? Besonders, da er überzeugt war, mir gefolgt zu sein.»
«Das wäre denkbar», sagte ich. «Aber es würde alle unsere Überlegungen auf den Kopf stellen. Außerdem haben wir noch andere Beweise, denken Sie an Kapstadt.»
«Auch dies ließe sich erklären. Der Mann, der Ihnen dort folgte, sprach mit Pagett auf der Straße, und dieser blickte auf seine Uhr. Wie, wenn er ihn bloß nach der Zeit gefragt hätte?»
«Sie halten es also für ein zufälliges Zusammentreffen?»
«Nicht unbedingt; die ganze Sache hat Methode. Möglicherweise wollte man Pagett in die Geschichte verwickeln. Weshalb fand der Mord an Nadina ausgerechnet im Haus zur Mühle statt, wo Pagett aus und ein gehen konnte? War es deshalb, weil er zur Zeit des Diamantendiebstahls ebenfalls in Kimberley war? Sollte er den Sündenbock abgeben, wenn ich nicht durch eine günstige Fügung auf dem Schauplatz erschienen wäre?»
«Ihrer Meinung nach könnte er also völlig unschuldig sein?»
«Es sieht beinahe so aus, aber erst müssen wir herausfinden, was er zur fraglichen Zeit in Marlow gemacht hat. Wenn er eine glaubwürdige Erklärung dafür hat, sind wir auf der richtigen Fährte.»
Er erhob sich.
«Mitternacht ist vorüber, Anne. Sie müssen jetzt schlafen. Kurz vor Tagesanbruch bringe ich Sie im Boot ans Festland hinüber, damit Sie den Zug in Livingstone erreichen. Sie fahren nach Bulawajo und nehmen dann die Bahn nach Beira.»
«Beira…», sagte ich nachdenklich.
«Ja, Anne, es muss dabei bleiben.»
«Gut, wenn es denn sein soll…»,flüsterte ich und ging an ihm vorbei in die Hütte.
Ich hatte mich auf dem fellbedeckten Lager ausgestreckt, doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich hörte, wie draußen auf und ab ging, auf und ab, all die langen Stunden.
Endlich rief er: «Anne, kommen Sie! Es ist Zeit.»
Es war noch dunkel, doch die Morgendämmerung nicht mehr fern.
«Wir nehmen das Kanu, nicht das Motorboot…»,begann Harry, doch plötzlich brach er ab und hielt, Schweigen gebietend, den Arm hoch.
«Still! Was ist das?»
Ich lauschte, doch ich vernahm keinen Laut. Seine Ohren waren schärfer als meine, die Ohren eines Menschen, der lange Zeit in der Wildnis gelebt hat. Doch dann hörte ich es auch: Ein leises Plätschern von Rudern im Wasser, das sich vom rechten Ufer her deutlich unserem kleinen Landungssteg näherte.
Wir strengten unsere Augen an und konnten unklar einen Fleck auf dem Strom ausmachen. Ein Boot, das rasch näher kam. Dann eine kleine Flamme – jemand zündete ein Streichholz an. In seinem Licht erkannte ich den rotbärtigen Holländer aus jener Villa. Die übrigen Insassen waren Eingeborene.
«Rasch zurück in die Hütte!»
Harry riss mich mit sich. Er nahm ein paar Gewehre und einen Revolver von der Wand.
«Können Sie ein Gewehr laden?»
«Ich habe es noch nie versucht; zeigen Sie mir, wie es gemacht wird.»
Bald hatte ich seine Anweisungen begriffen. Wir verschlossen die Tür, und Harry stellte sich ans Fenster, von wo aus man den Landungssteg überblicken konnte. Gerade legte das Boot an.
«Wer ist da?», rief Harry.
Wenn wir noch Zweifel über die Absicht unserer Besucher gehabt hätten, wären sie jetzt behoben worden. Ein Hagel von Geschossen ergoss sich über uns. Glücklicherweise wurde keiner von uns verletzt. Harry hob das Gewehr. Ein weiterer Kugelregen. Ein Geschoss streifte Harrys Wange. Ich schaffte es, das Gewehr wieder zu laden, ehe er danach griff.
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