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Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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kam ein schneidig gekleideter junger Mann in mein Abteil, der sich erkundigte, wohin ich führe. Mein gemurmeltes «Tee, und zwar mit Zucker», beachtete er gar nicht, sondern wiederholte seine Frage und betonte, er sei von der Einwanderungsbehörde und wünsche Auskunft über mein Woher und Wohin. Schließlich gelang es mir, ihn zufrieden zu stellen durch meine Angaben, dass ich an keinen ansteckenden Krankheiten leide, Rhodesien nur aus den reinsten Motiven besuche, und indem ich ihm meinen vollen Namen sowie meinen Geburtsort nannte.
    Dann versuchte ich ein wenig zu schlafen, doch um halb sechs erschien so ein uniformierter Kerl mit einer Tasse heißem Zuckerwasser, das er großartig als Tee bezeichnete. Ich hatte große Lust, es ihm an den Kopf zu schütten. Um sechs Uhr brachte er mir ungezuckerten Tee, der eiskalt war. Völlig erschöpft fiel ich wieder in Schlaf und erwachte kurz vor Bulawajo, wo man mir eine scheußliche Holzgiraffe in den Arm legte.
    Doch außer diesen Zwischenfällen verlief die Reise ruhig, bis eine neue Kalamität auftauchte.
    Es geschah an dem Abend, als wir bei den Victoriafällen eintrafen. Ich diktierte Miss Pettigrew in meinem Hotelzimmer, als plötzlich Mrs Blair ohne ein Wort der Entschuldigung hereinplatzte.
    «Wo ist Anne?», schrie sie aufgeregt.
    Nette Frage, das! Als ob ich für das Mädchen verantwortlich wäre. Was soll Miss Pettigrew davon halten? Dass ich die Gewohnheit habe, Anne Beddingfeld um Mitternacht herum einfach aus meiner Tasche zu ziehen? Sehr kompromittierend für einen Mann in meiner Position.
    «Ich darf wohl annehmen», sagte ich kalt, «dass sie in ihrem Bett liegt.»
    Dabei räusperte ich mich und blickte Miss Pettigrew an, um zu zeigen, dass ich weiterdiktieren wollte. Aber Mrs Blair verstand den Wink nicht. Sie sank auf einen Stuhl und wippte aufgeregt mit dem Fuß.
    «Sie ist nicht in ihrem Zimmer, ich habe nachgesehen. Ich habe einen fürchterlichen Traum gehabt und stand auf, nur um mich zu vergewissern, dass ihr nichts fehlt. Sie war nicht im Zimmer, ihr Bett ist noch unberührt.»
    Flehend blickte sie mich an.
    «Was soll ich nur tun, Sir Eustace?»
    Ich unterdrückte die Antwort, die ich ihr gern gegeben hätte: Zu Bett gehen und sich um nichts kümmern. Ein so energisches Geschöpf wie Anne Beddingfeld wird wohl imstande sein, auf sich selbst aufzupassen. Statt dessen runzelte ich die Stirn und fragte: «Was meint Race dazu?»
    «Ich kann ihn nirgends finden.»
    Ich seufzte und setzte mich. «Ich verstehe den Grund Ihrer Aufregung nicht», sagte ich geduldig.
    «Mein Traum…»
    «Sie haben zu schwer gegessen.»
    «Oh, Sir Eustace!»
    Sie war ganz entrüstet. Und doch weiß jedermann, dass Alpdrücken von schwerem Essen herrührt.
    «Schließlich ist es doch kein Verbrechen», sagte ich, «wenn Anne Beddingfeld und Race noch einen kleinen Mondscheinspaziergang unternehmen, ohne es gleich dem ganzen Hotel mitzuteilen.»
    «Glauben Sie, dass dies möglich wäre? Es ist doch bereits nach Mitternacht.»
    «Wenn man jung ist, begeht man leicht eine solche Narretei», antwortete ich. «Allerdings hätte ich Race für vernünftiger gehalten.»
    «Meinen Sie das wirklich im Ernst?»
    «Wahrscheinlich sind sie durchgebrannt, um rasch zu heiraten», fuhr ich lächelnd fort, obgleich ich mir völlig klar darüber war, was für einen Unsinn ich redete. Denn wohin sollten sie von einem Ort wie diesem schon durchbrennen?
    Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch hätte zusammennehmen müssen, aber in diesem Moment erschien Race. Es erwies sich, dass ich zum Teil Recht hatte: Er hatte einen Spaziergang gemacht, allerdings allein, ohne Anne. Dagegen war es falsch von mir, die Situation auf die leichte Schulter zu nehmen. Das erwies sich schon bald. Race stellte in drei Minuten das Hotel auf den Kopf. Ich habe noch nie einen Menschen so aufgeregt gesehen.
    Die Sache ist wirklich sehr seltsam. Wohin ist das Mädchen verschwunden? Sie spazierte um zehn Minuten nach elf aus dem Hotel – und wurde seither nicht mehr gesehen. Der Gedanke an Selbstmord scheint ausgeschlossen. Sie gehört zu den unternehmungslustigen jungen Frauen, die das Leben lieben und nicht daran denken, es wegzuwerfen. Sie konnte auch nicht auf und davon gehen, weil vor morgen Mittag kein Zug fährt. Wo zum Teufel ist sie geblieben?
    Race ist völlig außer sich, der arme Kerl. Jeden Stein hat er umgedreht. Jeden Menschen im ganzen Distrikt hat er aufgeboten. Die eingeborenen Spürhunde kriechen

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