Der Mann im Park: Roman (German Edition)
wollte.
Etwas hatte sich gelöst, als er sie tötete. Es schien, als hätte es vorher für ihn eine Grenze gegeben, die ihn aufgehalten hatte. Und jetzt hatte er das Gefühl, als würde sein Inneres mit jedem Tag, der verging, verschwommener, vager werden. Und er fragte sich, ob er wieder einen Menschen töten könnte.
Er dachte an Stierna. Zwischen ihnen beiden konnte es keinen großen Altersunterschied geben, höchstens fünf Jahre zugunsten des Kommissars.
Er spuckte verächtlich aus. Dabei fielen ihm die Spucknäpfe ein, die unter den Betten seiner Eltern gestanden hatten. Die er auf dem Hof hatte leeren müssen.
Fünf Jahre zugunsten von Stierna. Wie so vieles. Eine schöne Frau an seiner Seite. Kommissar, bevor er vierzig war. Ermittlungsleiter in der Abteilung für Gewaltverbrechen in Stockholm.
Der Mörder stampfte mit den Füßen auf. Sie waren eingeschlafen, als er in der Schlange im Postamt hatte warten müssen.
Wir hätten die Plätze tauschen können, dachte er. Wenn er dort aufgewachsen wäre, wo ich aufwuchs, wenn ich dort aufgewachsen wäre, wo er aufwuchs. Dann wäre ich wie er geworden. Aber ich habe den Dreck erleben müssen, wurde in ihn hineingezogen, in ihm erniedrigt.
Wieder spürte er die Wut in sich aufsteigen.
Eines Tages werde ich ihm Aug in Aug gegenüberstehen, dachte er. Dem Herrn Kommissar. Ich werde ihm in die Augen schauen, erzählen. Vielleicht sogar gestehen.
Er wusste nicht, ob er Stierna bewundern oder hassen sollte. Vielleicht beides. Aber er ging ihm nicht aus dem Sinn, beinahe konnte man sagen, dass er besessen von ihm war. Der Gedanke, dass Stierna und er eigentlich zwei Seiten einer Medaille waren, ließ ihm keine Ruhe. Zwei Seiten der Medaille des Lebens.
*
Stierna saß in seinem Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lagen die Mitgliederlisten der Stockholmer Leichtathletikvereine. Es gab fast dreißig davon, wenn man die Stadt und Provinz mit einbezog, Rehn hatte dafür gesorgt, dass jeder Verein das getan hatte, worum er gebeten worden war. Und sie hatten sie auch schon aufgesucht, die Vereine.
Stierna schaute auf den Wandkalender. Es war Samstag. Samstag, der neunundzwanzigste September 1928.
Die politische Krise nach der Wahl schien vorüber zu sein. Am Vormittag hatte Gustaf V. Arvid Lindman mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Rechte würde das Ruder übernehmen.
Sie hatten mit den Sportvereinen in der Innenstadt angefangen und mit denen, die in ihrer Nähe waren. Das waren gut fünfzehn. Wenn der Mörder hier zu finden war, würden sie ihn dann tatsächlich entdecken? Kronobergs Leichtathletikklub, Fredrikhofs Leichtathletikverein, die Leichtathletikvereine Sleipner, Olympia, Westermalm. Der Leichtathletikklub Mode. Und andere. Sie würden mit den Leitern oder dem Vorstand sprechen.
Ab und zu spürte Stierna, wie ihn eine gewisse Unsicherheit überfiel, aber er musste alle Möglichkeiten nutzen, die sich ihm boten. Am Abend zuvor hatte er mit Lundby gesprochen. Es war nur ein kurzes Gespräch gewesen, aber es ging Stierna nicht aus dem Kopf. Ein Mann hatte in Levanders Tabakladen an der Ecke Karlbergsvägen/Norrtullsgatan am Pfingstmontag ein paar Sammelbilder gekauft.
Stierna stand auf und trat ans offene Fenster, ging noch einmal in Gedanken durch, was Lundby ihm erzählt hatte. Die Stille draußen überraschte ihn.
Die Kreuzung Karlbergsvägen/Norrtullsgatan, dachte Stierna. Am Odenplan. Nur einen Steinwurf von dem Ort entfernt, an dem Ingrid Bengtsson am zweiten September verschwand.
Jung und gut gekleidet, Raucher. Wer war er, der Mann im Vasapark?
Visby 1953
54
Stierna saß am Klavier. Das Bierglas stand vor ihm, der Oberkellner hatte es ohne Aufforderung bereits serviert.
Schon seit einer halben Stunde saß Stierna hier. Er hatte mal dies, mal das gespielt. Bellman, Taube, Bach.
Eine Frau um die fünfunddreißig kam zu ihm. Sie wünschte sich Nils Pernes »Min soldat«. Stierna schätzte, dass sie noch sehr jung gewesen sein musste, als Ulla Billquist dieses Lied 1940 gesungen hatte , e s wa r da s Lied übe r di e Kriegsbereitschaf t Schwedens; wahrscheinlich blickte die Frau mit Nostalgie auf diese Jahre zurück.
Stierna selbst hatte die Schallplatte gekauft, als sie herausgekommen war. Aus irgendeinem Grund wusste er noch die dritte Strophe auswendig.
Auf einem Bild habe ich ihn gesehen,
Haare nicht geschnitten und ungepflegt,
seit Wochen nicht rasiert.
Aber das macht nichts,
denn er ist mein Soldat,
irgendwo in
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