Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im Park: Roman (German Edition)

Der Mann im Park: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pontus Ljunghill
Vom Netzwerk:
er das schon viel zu lange mit sich herum, obwohl er die Wahrheit kannte.
    Er ging zum Strand hinunter.
    Hier war es menschenleer. Aus der Ferne hörte er Vogelgezwitscher, das klang in gewisser Weise beruhigend. Es war keine einzige Wolke am Himmel, er war voller Sterne. Plötzlich kam Stierna ein Gedanke. Bald würde seine Zeit vorüber sein. Er hatte jetzt fast neunundfünfzig Jahre gelebt. Eine lange Zeit auf der Erde, nicht einmal eine Mikrosekunde im Universum. Was hatte er eigentlich in dieser Mikrosekunde getan?
    Er sog die frische Nachtluft ein. Es war nicht besonders kalt, sicher über zehn Grad. Und es war vollkommen windstill.
    Als ich geboren wurde, habe ich um mein Leben gekämpft, dachte er. Die Ärzte hatten mich schon fast aufgegeben, ich wurde zu früh geboren, mit Kaiserschnitt. Monatelang habe ich gekämpft. Und ich habe gewonnen.
    Früher einmal habe ich wirklich gelebt. Doch das ist lange her, die letzten zwanzig Jahre erschienen ihm nur noch leer.
    Ingrid Bengtsson andererseits, sie hatte das Leben so sehr geliebt und durfte nicht einmal neun Jahre alt werden. Gab es einen Sinn in alldem? Stierna verscheuchte die trüben Gedanken.
    Vielleicht sollte ich dankbarer sein, dachte er. Das schätzen, was ich habe, und nicht so verdammt zynisch sein.
    Er ging das steinige Ufer entlang. Die Gedanken an den Mord an dem Mädchen überkamen ihn häufig beim Spazierengehen. Was vielleicht nicht so überraschend war, jetzt, wo er jeden Tag darüber sprach. Wenn nicht mit Grönwall, dann mit anderen.
    Er schaute in den klaren Himmel. Sein Sternzeichen konnte er immer noch nicht erkennen. Die Waage. Und auch Karolinas hatte er nie zeigen können, die Fische. Er wollte sie lernen, bevor er von hier wieder abreiste. Wollte sehen, ob er sie an diesem überwältigenden Himmelsgewölbe finden konnte. Wenn sie zu finden waren.
    Visby war ganz still, nicht voller Leben wie Stockholm. Nicht dieser ständige Menschenfluss auf den Straßen. Nicht das Quietschen der Straßenbahnen.

Stockholm 1928
    55
    Der schwarze Polizeiwagen hielt vor dem Haus in der Upplandsgatan 13. Stierna sagte dem Fahrer, dass er ruhig fahren könne, es würde einige Zeit dauern.
    Er ging die drei Treppen hinauf, den Pappkarton in den Händen. Den Karton mit der Kleidung, aber auch mit dem Buch, »Pu der Bär«.
    Die Tür mit dem Messingschild und dem Namen Bengtsson sah aus wie zuvor. Aber die Zeichnung mit den beiden Mädchen, einem großen und einem kleinen, die auf einer Sommerwiese standen und einander an den Händen hielten, war fort.
    Er klingelte. Klopfte mit einer Hand seinen Mantel ab und rückte die Krawatte gerade.
    Maria Bengtsson öffnete. Sie sah ihn überrascht an.
    »Kommissar Stierna.«
    »Guten Abend, Fräulein Bengtsson. Ich bringe Ingrids Sachen. Wir sind damit fertig, und ich dachte, Sie möchten sie gern wiederhaben.«
    Maria Bengtsson hielt die Tür auf.
    »Kommen Sie herein«, sagte sie leise.
    Stierna betrat die Zweizimmerwohnung. Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Er in denselben Sessel, in dem er vorher gesessen hatte, sie wieder auf das braune Sofa.
    Stierna stellte den Pappkarton vor Maria Bengtsson auf den Tisch.
    »Das sind ihre Kleider«, sagte er noch einmal. »Und das Buch, das Sie mir geliehen haben, ›Pu der Bär‹. Ihre Geldbörse haben wir noch. Ich werde dafür sorgen, dass sie Ihnen morgen übergeben wird. Welche Zeit würde Ihnen passen?«
    Sie musterte ihn, der Blick war müde, leer.
    »Eigentlich immer. Nur nicht zu früh, ich schlafe momen tan morgens immer ziemlich lange. Weil ich abends so schlecht einschlafen kann.«
    »Sie arbeiten nicht?«, fragte Stierna. »In dem Café in der Mäster Samuelsgatan?«
    »In der 67. Nein, im Augenblick nicht. Ich habe es versucht, aber es ging nicht. Ich hatte nicht die Kraft dazu. Aber ich habe Geld von meinen Eltern geliehen, ich komme schon zurecht. Bald werde ich sicher wieder anfangen zu arbeiten. Ich hoffe nur, dass ich es schaffe.«
    Sie legte die Hände auf den Tisch. Ein weißes Album lag dort. Maria Bengtsson blätterte darin, und erst jetzt erkannte Stierna es: Ingrids Glanzbildersammlung. Das Album hatte viele Seiten. Fast alle waren voll mit Glanzbildern, nur die letzten beiden waren noch leer.
    »Die letzten Seiten hat sie nicht mehr füllen können«, sagte Maria Bengtsson.
    Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte, es gab dieser Feststellung nichts hinzuzufügen.
    Maria Bengtsson klappte das Album wieder zu.
    »Kriegen Sie ihn?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher