Der Mann im Park: Roman (German Edition)
spät, das Mädchen muss ins Bett. Wir haben keine Zeit für Gäste … jetzt nicht.«
Stierna nahm den Hut ab.
»Mein Name ist Kommissar Stierna. Ich will nicht länger stören, Frau Olofsson. Ich komme von der Kriminalpolizei. Ich habe Ihren Mann und Ihre Tochter auf dem Spielplatz im Park getroffen. Wir suchen einen Mann …«
Georg Olofsson knöpfte seinen Mantel auf, obwohl er draußen in der Kälte stand.
»Er hat uns im Park getroffen. Maj fing an zu weinen, sie wollte noch weiterschaukeln, obwohl es schon spät geworden war. Ich habe sie am Arm gepackt. Ich kann den Herrn Kommissar gut verstehen. Deshalb wollte ich, dass er sieht, dass Maj sicher nach Hause kommt, dass es nichts gibt, worüber er beunruhigt sein müsste.«
Die Frau strich sich über das kurz geschnittene Haar.
Wahrscheinlich hatten die beiden am Frühstückstisch häufiger über Ingrid gesprochen. Die reißerischen Zeitungsüberschriften hatten ihnen sicher Angst gemacht. Panische Angst.
Stierna meinte sich entschuldigen zu müssen.
»Bitte entschuldigen Sie, Frau Olofsson. Ich habe Sie und das Kind viel zu lange aufgehalten. Und entschuldigen Sie, dass ich Ihrem Mann misstraut habe.«
»Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen, Herr Kommissar«, sagte die Frau. »In gewisser Weise ist es sogar beruhigend zu wissen, dass Sie sich solche Mühe machen. Auf Wiedersehen.«
Die Frau nahm das Mädchen an der Hand und ging ins Haus. Schloss die Tür hinter sich. Georg Olofsson blieb draußen stehen.
Stierna ließ seinen Blick über die beiden Holzhäuschen schweifen. In mehreren Fenstern brannte Licht, Rauch stieg aus einem hohen, schmalen Schornstein auf.
»Die werden bald abgerissen, diese Häuser«, sagte Olofsson. »Dalagatan 13 und 15. Diese Holzhäuschen passen wohl nicht mehr hierher. Meine Nachbarn haben fast ihr ganzes Leben hier gelebt, der Alte ist in diesem Haus geboren worden, seine Frau hat ihr halbes Leben hier verbracht. Ihre Kinder sind in diesen Räumen groß geworden. Aber bald müssen wir alle hier fort.«
»Und wo werden Sie hinziehen?«, fragte Stierna.
»Nach Söder. Bisher bin ich so gut wie nie dort gewesen. Obwohl ich in dieser Stadt aufgewachsen bin. Schon merkwürdig, oder?«
Ein paar Minuten später hatte Stierna den Park hinter sich gelassen. Er spürte eine Unruhe in sich, stärker als üblich.
Eine Straßenbahn fuhr vorbei, er drehte sich noch einmal um. Die beiden Häuser waren alt und in schlechtem Zustand, aber es lebten Menschen in ihnen. Bald würden sie hier wegziehen müssen.
Er konnte nur zustimmen: Die beiden Häuser stammten aus einer vergangenen Zeit und passten nicht ins Bild. Bald würden sie abgerissen werden, um Platz für das Neue zu machen.
57
Sie nahmen das »Skärgårdsbåten« an der Nybroviken. Die Holzschiffe lagen unterhalb des Strandvägen, hatten aber keine Segel gesetzt.
Die »Bellevue« legte Punkt zwölf Uhr ab, genau nach Fahrplan. Die Sonne schien, zum ersten Mal seit vielen Wochen, und wärmte die Luft. Stierna deutete das als Zeichen dafür, dass es eine richtige Entscheidung gewesen war, alles hinter sich zu lassen, und sei es nur für ein paar Tage.
Es waren nur wenige Passagiere auf dem Schiff, nicht wie im Juni, Juli oder August, wenn viele auf ihre Sommerinseln fuhren.
In dem gemütlichen Restaurant auf dem Oberdeck bestellten sie sich etwas zum Lunch, jeder ein Krabbenbrot. Und ein Glas Weißwein dazu, trotz der frühen Uhrzeit.
Wenn er den Dampfer unten in der Nybroviken bestieg, musste Stierna immer an die Vereinigten Staaten denken. Es war jetzt fünf Jahre her, dass er an einem Spätsommertag Fredrik auf dem Amerikadampfer in Göteborg verabschiedet hatte. Aber die Bilder in seinem Kopf waren immer noch gestochen scharf, all die gut gekleideten Männer und Frauen an der weißen Reling der »Stockholm«. Die fröhlich winkenden Kinder. Stierna erinnerte sich auch an die Wehmut, die er gespürt hatte und die sich mit einer Art Freude vermischte, als er sah, wie sein Bruder zu etwas Größerem, vielleicht Besserem aufbrach. Jetzt spürte er dieses Gefühl wieder, auch wenn der Schärendampfer viel kleiner war, viel unscheinbarer als die »Stockholm« damals. Erst vor Kurzem hatte er gelesen, dass es jetzt schon fast einhunderttausend Schweden waren, die das Land verlassen hatten für ein neues, besseres Leben auf der anderen Seite des Atlantiks, allein in den Zwanzigerjahren. Ihm selbst war nicht einmal der Gedanke gekommen.
Sie schauten auf das Wasser.
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