Der Mann im Park: Roman (German Edition)
konnten, er kam immer wieder. Anfangs war ich der Meinung, dass er ein Recht hatte, so zu handeln. Aber dann … Als sie anfingen, wirklich Angst vor ihm zu haben, sah ich den Hass in ihm, und der beunruhigte mich. Fahrräder gingen kaputt, nicht nur von denen, die ihn verhöhnt hatten, sondern auch von anderen, die sich im Hintergrund gehalten hatten. Die zu schwach waren, um etwas zu tun.«
»Dann haben Sie sich also von ihm abgewandt?«
»Ja.«
»Und auf der Werkrealschule in Ludvika? Hatten Sie da noch mit Arvid Enberg Kontakt?«
»Nein.«
»Wurde er dort auch noch geärgert?«
»Nein, da war er nur ein Schüler, der nicht auffiel. Und so war er im Grunde genommen ja auch.«
»Wie meinen Sie das?«
»Auch wenn er anwesend war, bemerkte man ihn kaum. Ich kann das nur schwer erklären … Irgendwie konnte er vollkommen unbemerkt vorbeigehen. Wie eine Art Schatten, und selbst den konnte man nicht sehen.«
Ivar Hammar machte eine ausholende Geste.
»Das klingt sicher merkwürdig. Aber so war er … Ich kann es nicht besser beschreiben. Es war fast, als wäre er unsichtbar.«
Plötzlich musste Stierna an Hjalmar Söderberg denken. An die kurzen Sätze in seinem Roman »Doktor Glas«, den er vor langer Zeit gelesen hatte, in seiner Jugend. Damals war das Buch ein Skandal gewesen:
Man will geliebt werden, mangels dessen bewundert, mangels dessen gefürchtet, mangels dessen verabscheut und verachtet. Man will irgendein Gefühl in den Menschen wecken. Die Seele schreckt vor der Leere zurück …
Arvid Enberg hatte in diesem Vakuum, in diesem leeren Raum gelebt, dachte Stierna. Vielleicht hatte er sich deshalb dazu entschieden, gefürchtet zu sein, verabscheut und verachtet. Das war immer noch besser, als in einem Vakuum zu leben.
»Hatte er Freunde in der Werkrealschule in Ludvika?«, fragte Stierna.
»Ich glaube nicht«, entgegnete Hammar. »Aber er ist immer für sich gewesen, schien das so zu wollen. Er hat jede Schulmeisterschaft über 1500 Meter oder 3000 Meter Laufen gewonnen. Aber niemanden hat das interessiert, es war, als gehörte er einfach nicht dazu.«
Stierna ging ein paar Schritte über den Hof.
»Das Leben prägt uns«, sagte Hammar plötzlich, »oder?«
»Und das Leben hat ihn geprägt?«
»Ja, natürlich.«
87
Die Laternen warfen ihren matten Schein über den Friedhof von Lyvik. Stierna war allein, er lief schon eine ganze Weile hier herum. Auf den breiten Wegen, zwischen den Gräbern.
Er ging an einem großen Rasenstück mit Grabsteinen unterschiedlicher Größe entlang. Einige waren massiv, andere klein und unscheinbar, auf vielen standen mehrere Namen. Stierna schaltete seine Taschenlampe an und ließ den Lichtkegel über die Steine tanzen.
Einige Namen erkannte er wieder, denn er war früher schon hier gewesen. Anna Laurell. K. J. Johanssons Familiengrab. Kaufmann Wickman und seine Ehefrau Elisabeth, verstorben im frühen 19. Jahrhundert. Sie schienen keine Kinder gehabt zu haben, zumindest lagen keine bei ihnen im Grab.
Stierna löschte sein Licht und ging zurück zum Eingang. Die Eisenpforte stand trotz der späten Stunde weit offen.
Der breite Weg teilte sich bald. Er führte einen Hügel hinauf und verlief weiter geradeaus.
Stierna folgte dem geraden Weg. Er gelangte an eine weiß gestrichene Kapelle aus Stein. An ihr war er bereits mehrere Male vorbeigegangen.
Wieder schaltete er die Taschenlampe ein und leuchtete die Grabsteine an. Er war vor einer Stunde schon hier gewesen, aber Arvid Enbergs Stein hatte er nicht gefunden. Auch wenn der Friedhof relativ groß war, meinte er doch an allen Gräbern mindestens einmal vorbeigegangen zu sein.
Ein Stück hinter der Kapelle lag Dan Anderssons Grab. Der Poet der Finnmarka, der im September 1920 in einem Hotelzimmer im Klaraviertel gestorben war. Bei »Hellmans«, nachdem die Hotelzimmer mit Blausäure von Ungeziefer gesäubert und anschließend nicht ordentlich gelüftet worden waren. Stierna konnte sich noch an den Skandal erinnern, er hatte die beiden Vergifteten im Leichenschauhaus gesehen. Andersson war im Schlaf gestorben, nachdem er von einem Abend im »Berns« heimgekommen war. Der Lebensversicherungsagent Elliot Eriksson aus Bollnäs war ebenfalls in seinem Hotelzimmer bei »Hellmans« gestorben, aber an ihn würde sich wohl kaum noch jemand erinnern.
Stierna dachte an den Abend zurück, als Rehn und er im »Ludvika Järnvägshotel« abgestiegen waren.
Er hatte bald sein Zimmer wieder verlassen, war in ein Lokal
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