Der Mann im Park: Roman (German Edition)
war.
Wie bin ich hier nur gelandet?, fragte er sich selbst. Wie bin ich auf Gotland gelandet, allein in einem Zimmer in einem Wirtshaus, das kurz vor der Winterruhe steht, nachdem die Sommertouristen abgereist waren? Alt, müde, verlassen. Ein Flüchtling. Seit dreißig Jahren. Wenn ich mich vor dreißig Jahren so hätte sehen können, wie hätte ich da wohl reagiert? Wahrscheinlich wäre ich zu Tode erschrocken.
Als Stierna wieder zurückkam, war es nicht mehr so still im Speisesaal. Malmborg und der dunkelhaarige, ruhige Kellner hatten sich an einen Tisch am Eingang gesetzt, zusammen mit dem blonden Mann von der Rezeption und zwei jungen Frauen, die hier kellnerten.
Grönwall saß noch am Fenstertisch. Er blickte gedankenverloren hinaus ins Dunkel; Stierna konnte sehen, dass sein Glas leer war.
»Das ging schnell«, sagte der Journalist.
»Ja, ich musste nur mal an die frische Luft.«
Grönwall sah wieder in die Visbyer Nacht hinaus. Stierna kam in den Sinn, dass es nicht mehr lange hin war bis zu den Glockenschlägen um Mitternacht.
»Sie haben vorhin gesagt, dass die Beweise fehlten. Sie hatten nichts, was den Mann mit dem Mord an dem Mädchen in Verbindung bringen konnte.«
»Jedenfalls nichts Nennenswertes.«
Stierna lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er erinnerte sich daran, wie er die Wohnung in Ludvika betreten hatte, in der Arvid Enberg früher einmal gewohnt hatte. Das war irgendwann im Juni 1941 gewesen, nachdem die Techniker dort fertig gewesen waren. Die Wohnung lag in der Nähe einer Pension in der Fredsgatan, und ihm war damals aufgefallen, wie ähnlich diese Wohnung doch der in der Hagagatan war, die Enberg unter dem Namen Karlsson angemietet hatte. Beides waren Einzimmerwohnungen mit Kochnische. In beiden stand der Schreibtisch an dem Fenster, das zur Straße zeigte.
Gut dreizehn Jahre nachdem Arvid Enberg die Wohnung in Ludvika verlassen hatte, um nie wieder zurückzukehren, waren alle Spuren von ihm ausgemerzt. Dass sie keine Fingerabdrücke von ihm finden würden, sahen sie schnell ein. Die Wände waren in der Zwischenzeit zweimal gestrichen worden, und selbst wenn sie nicht gestrichen worden wären, hätten sie wohl kaum brauchbare Abdrücke finden können. Nicht nach dreizehn Jahren, nachdem mindestens drei Mieter seit 1928 hier gelebt hatten.
Keine gesicherten Spuren, die der Rede wert waren, dachte Stierna und stand auf.
Grönwall wandte sich vom Fenster ab und sah ihn an.
»Ich gehe zum Oberkellner«, sagte Stierna, »und sehe, ob ich noch etwas bestellen kann, bevor ich ins Bett gehe. Möchten Sie auch etwas?«
»Nein, danke.«
Stierna ergriff den Stock. Während er durch den Speisesaal ging, dachte er daran, wie fieberhaft sie in dem Frühling und Sommer 1941 nach dem Täter gesucht hatten. Wie sie alle Hinweise noch einmal durchgegangen waren, nachdem die Zeitungen die Zeichnungen des Mannes mit der hohen Stirn veröffentlicht hatten, lange bevor Stierna zum ersten und letzten Mal in seinem Leben am Bahnhof Ramberg aus dem Zug gestiegen war. Sie hatten ein paar Hinweise von Orten nicht weit von der Gemeinde Bråd entfernt erhalten. Eine ältere Frau aus Smedjebacken meinte, der Schuster, zu dem sie immer ging, ähnele dem Mann auf den Zeichnungen. Eine Verkäuferin in Grangärde meinte, einer ihrer Kollegen erinnere sie an den von der Polizei Gesuchten. Außerdem eine junge Kellnerin, die erzählte, dass ein Herr, den sie einige Male am Bahnhof von Ludvika gesehen habe, der Mann sein könne, den Sara Åkerblom gezeichnet hatte.
Der frühere Ermittlungsleiter schaute zu dem Tisch am Eingang, an dem Malmborg und die anderen saßen. Sie hatten ihn noch nicht kommen sehen.
Er dachte daran, wie sie Verwandte von Enberg ausfindig gemacht hatten, um an ein Foto von ihm zu kommen, aber sie hatten nur welche aus der frühen Schulzeit gefunden, die nicht zu gebrauchen waren. Und er erinnerte sich daran, wie sie im Führerscheinregister von 1927 gesucht und Enberg dort gefunden hatten, die Bestätigung dafür, dass er Auto fahren konnte. Wie er selbst so oft im Vasapark gesessen hatte, sich dorthin gezogen fühlte. Nicht in dem Glauben, Enberg könnte irgendwann hier auftauchen, aber doch in einer unlogischen, mikroskopisch kleinen Hoffnung, es könnte trotz allem geschehen.
Ich habe ihn an so vielen Orten gesucht, dachte Stierna.
Dann war er am Tisch am Eingang angekommen. Die beiden Frauen und der blonde Mann von der Rezeption schauten auf. Malmborg saß mit dem Rücken zu ihm
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