Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im Schatten - Thriller

Der Mann im Schatten - Thriller

Titel: Der Mann im Schatten - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
dem Büroapparat.
    Mr Kolarich, hier ist Lieutenant Ryan von den State Troopers. Ich befürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie, Sir.

    Ich rollte mit geöffneten Fenstern vom Friedhofsparkplatz und sog die modrige Herbstluft ein, den Geruch nach toten Blättern und Fäulnis, während der kühle Windzug flüsternd um meine Ohren strich. Ich fragte mich, warum ich immer noch diesen täglichen Ausflug zu Talias und Emilys Grab unternahm, warum ich es einfach nicht lassen konnte. Es war die eine Stunde am Tag, in der ich wirklich bei mir war, aber gleichzeitig machte sie die übrige Zeit nur noch unerträglicher.
    Ich schloss die Augen, als ich an der roten Ampel vor dem Friedhof bremste. Ich versuchte, all die Bilder und Geräusche aus meinem Kopf zu verbannen - ich wusste, dass ich sie beiseiteschieben konnte. Aber ich wollte es nicht wirklich.
    Sieht ganz so aus, als seien sie beim Aufprall sofort tot gewesen, erklärte dir der State Trooper. Du hast es akzeptiert, ohne nachzufragen. Du möchtest so gerne glauben, dass es ein schmerzloser Tod gewesen ist, weißt aber, dass ein Kleinkind in einem Kindersitz einen solchen Aufprall durchaus überleben kann. Du bemühst dich, die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit zu verdrängen, dass sie beide nicht beim Aufprall gestorben, sondern qualvoll im Fluss ertrunken sind.
    »Ihr seid jetzt an einem ganz besonderen Ort«, sagte ich laut. Ich verfluchte Gott, der das alles hatte geschehen lassen, und zugleich war ich mehr denn je auf die Vorstellung eines Himmels angewiesen. »Ihr seid an einem guten Ort, und es spielt keine Rolle, was passiert ist.« Hinter mir hupte jemand, und ich riss die Augen auf. Zwischen meinem Wagen und dem vor mir klaffte bereits ein beträchtlicher Abstand, und die Ampel stand auf Grün. Ich umklammerte das Lenkrad, bis meine Knöchel weiß hervortraten, atmete tief ein und aus, während mein Herz raste und meine Arme zitterten.

    Dir waren noch so viele Jahre bestimmt gewesen. Du hättest eine glückliche Kindheit verlebt, um später einmal Künstlerin oder Ärztin zu werden oder vielleicht sogar Anwältin. Du warst dazu bestimmt, dich in jemanden zu verlieben, selbst Kinder zu haben, ein mitfühlender, warmer, liebevoller und glücklicher Mensch zu werden. Und ich... ich war nicht da, als du mich gebraucht hast. Ich war nie da. Kein einziges Mal.
    Ich trat auf die Bremse und kam mit kreischenden Reifen hinter dem Geländewagen zu stehen, der an der nächsten Ampel stoppte. Die beiden Kinder auf dem Rücksitz wandten sich zu mir um. Ich wischte mir kalten, öligen Schweiß von der Stirn und rang nach Atem. Diese Anfälle kamen von Zeit zu Zeit, wenn ich es zu nah an mich heranließ. In ein paar Minuten würde ich mich wieder beruhigen und alles auf meine schlechte Gesamtverfassung schieben.
    Das ist uns Überlebenden bestimmt. Wir ertragen es, kämpfen uns durch Trauer und Schmerz hindurch und kehren irgendwann ins Leben zurück. Vielleicht sogar in ein besseres Leben. Die Toten dagegen müssen sich mit dem begnügen, was ihnen gewährt wurde.

10
    Gegen zwei traf ich in der Haftanstalt ein, wieder einigermaßen erholt von meinem Mittagstermin. Ich musste mich am Riemen reißen, um Sammys willen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich das konnte. Wenn ich etwas von meinem Vater
geerbt habe, dann die Fähigkeit, Dinge sauber voneinander zu trennen. Er war ein unsicheres, zynisches Arschloch, aber wenn er seinen Charme anknipste, hätte er sogar eine Klapperschlange um den Finger wickeln können. Bei mir kam dieses Talent auf einer anderen Ebene zum Tragen. Ich bin selbst in etwa so charmant wie eine Klapperschlange, kann mich aber jederzeit absolut auf eine Sache konzentrieren.
    Gerade fragte ich mich, was Sammy wohl davon hielte, dass sein Anwalt Zweifel hatte, ob er dem Fall überhaupt gewachsen war, da erschien ein Gefängnisaufseher und führte mich zu einer der gläsernen Gesprächszellen. Mit der Zeit erkennt man diesen Schlag von Wärtern - typische roboterhafte Angestellte - und stellt sich lieber gut mit ihnen. Ich jedenfalls bin instinktiv nett zum Personal, denn es kann einem manchmal das Leben gewaltig erleichtern; auch wenn mir nicht wirklich klar war, inwiefern mir ein freundlich gesonnener Gefängniswärter von Nutzen sein konnte. Wie auch immer, aus einem mir unbekannten Grund sind Gefängniswärter selten große Fans von Anwälten. Und fast alle besitzen sie den Humor eines hungrigen Alligators. Dieser Kerl hier

Weitere Kostenlose Bücher