Der Mann im Schatten - Thriller
weißt du also Bescheid.«
Nach dem Studium einer Akte wusste man nie wirklich Bescheid. »Sie haben dich zum Tatzeitpunkt in der Nähe seiner Wohnung gesehen«, begann ich. »Gibt es irgendeinen plausiblen Grund, warum du dich sonst dort herumgetrieben haben könntest?«
Er schüttelte den Kopf. »Nee.«
»Besitzt du eine.38er Special?«
»Nee.«
Bisher hatten die Cops die Tatwaffe noch nicht sichergestellt. Ein kleiner Lichtblick. Außerdem hatten sie weder eine braune Bomberjacke noch eine grüne Wollmütze in Sammys Wohnung entdeckt. Natürlich würden sie argumentieren, Sammy hätte alles weggeworfen, aber immerhin blieb ein gewisser Zweifel.
»Hat sich jemand deinen Wagen ausgeliehen?«
Sammy starrte mich düster an. »Hey, jetzt wo du’s sagst, fällt’s mir wieder ein. Da war dieser eine Typ, der immer rumläuft und Kinderschänder abknallt, und der wollte sich just an dem Abend meinen Wagen ausleihen. Glaubst du, das könnte wichtig sein? Hätte ich das vielleicht vorher schon mal erwähnen sollen?«
Er wirkte ziemlich angepisst. Hatte er sich vielleicht eingebildet, ich würde ihm keine Fragen stellen? Aber ich ließ mich auf das Spielchen ein. »Und dieser selbst ernannte Rächer, trug der zufällig auch eine braune Bomberjacke und eine grüne Mütze?«
Meine Retourkutsche schien ihm nicht zu behagen. Ich hatte keine Ahnung, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war. Erinnerten ihn meine Fragen vielleicht daran, was die Anklage alles gegen ihn in der Hand hatte? Oder war es die Tatsache, dass ihm eine lebenslängliche Haftstrafe drohte? Ich hatte eher den Eindruck, dass es sich um etwas Persönliches drehte.
»Sammy, hat dein Pflichtanwalt je etwas von einer Verteidigungsstrategie erwähnt, die auf verminderter Schuldfähigkeit basiert?«
Angewidert stieß er den Rauch aus. »Was soll das sein? Vielleicht diese psychische Störungsscheiße?«
Genau das meinte ich. Vorübergehende Bewusstseinsstörung und damit einhergehender Impulskontrollverlust. Sammy war beim Anblick des Mörders seiner Schwester so in Rage geraten, dass ihm jede Einsicht in die Konsequenzen seines Handelns fehlte.
»Ja, hat er erwähnt, hab aber gleich Nein gesagt.« Sammy beugte sich vor, drosch die Handschellen auf den Tisch und fixierte mich. »Ich werde auf keinen Fall aussagen, dass ich am
Rad gedreht hab. Ich hab vielleicht kein tolles Juradiplom, aber ich bin kein Irrer.«
Okay, sein Ärger galt also tatsächlich mir. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Ich musste Sammy einen Überblick über seine Situation verschaffen. Insgeheim verfluchte ich seinen Pflichtverteidiger, der das versäumt hatte.
Ich sprach betont ruhig, um die Wogen wieder zu glätten. »Hör zu, Sammy. Damit erklärst du nur, dass deine Tat gerechtfertigt war. Du machst den Geschworenen verständlich, warum du diesen Dreckskerl erschossen hast. Dann wird die Jury auf deiner Seite sein. Wenn du die Tat hingegen abstreitest, sind Perlinis sämtliche Verbrechen - was er deiner Schwester und anderen angetan hat - kein Thema mehr. Es ist nicht relevant für den Fall, weil du ja sagst, du hast ihn nicht getötet. Ich schätze, der Richter wird nicht mal zulassen, dass die Jury über Perlinis Sexualverbrechen in Kenntnis gesetzt wird. Du wirst also vor Gericht stehen, und nur wir beide wissen, welche Sauereien Griffin Perlini begangen hat, aber die Jury hat keinen Schimmer. Verstehst du?«
»Klar«, sagte er ausdruckslos. »Das kapiert sogar jemand ohne College-Abschluss.«
Ich seufzte. Wahrscheinlich hatte Sammy sich die ganze letzte Nacht das Hirn darüber zermartert, wie unterschiedlich unsere Lebenswege verlaufen waren. Dabei war er wohl zu dem Schluss gelangt, dass er den Kürzeren gezogen hatte. »Glaub mir, die beste Verteidigung ist, zuzugeben, ja, ich habe ihn getötet, aber ich werde euch auch sagen warum - dieser Mistkerl hat meine Schwester auf dem Gewissen. Ich bin überzeugt, die Jury wird dich freisprechen, Sam. Und das ist wichtiger als dein verdammter Stolz. Du kriegst dein Leben
zurück. Lass uns den Geschworenen erzählen, was der Kerl deiner Schwester angetan hat.«
Sam hatte sich abgewandt. Er stellte sich stur, andererseits fiel es ihm vermutlich immer noch schwer, einen wirklich klaren Gedanken über das Schicksal seiner Schwester zu fassen. Trotzdem hoffte ich, dass mein Plädoyer ihn erreicht hatte. »Und wie beweisen wir, dass er meiner Schwester was angetan hat?«, wollte er wissen.
Damit sprach er allerdings einen
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