Der Mann im Schatten - Thriller
nun mal verlangt. Er wollte keinen von unseren Leuten. Er besteht auf Kolarich. Und die eigentliche Arbeit im Hintergrund übernehmen ohnehin wir. Er muss einfach nur vor Gericht erscheinen. Das wird er ja hoffentlich schaffen.«
Carlo schwieg. Er marschierte hinüber zu dem großen Panoramafenster und starrte bewegungslos hinaus. Schließlich drehte er den Kopf in Smiths Richtung. »Und er hat immer noch diesen Bruder, richtig?«
»Richtig.«
»Und die beiden stehen sich wirklich nahe? Ich meine, sein Bruder ist ihm nicht scheißegal, oder? Dieser Pete, oder wie der Kerl heißt?«
»Sieht so aus, ja.«
Carlo wandte sich wieder zum Fenster. Er atmete tief ein und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Gut«, sagte er schließlich.
9
Sie waren nicht die Ersten, erklärt dir der State Trooper, als wäre das ein Trost. Du stehst neben der Polizeiabsperrung im künstlichen Flutlicht, auf einer ansonsten stockfinsteren Landstraße. Die Straße beschreibt an dieser Stelle eine scharfe Kurve, schwer einzusehen, direkt oberhalb eines steil abfallenden
Flussufers. Ein Schild warnt vor der Gefahrenstelle, aber Talia muss es aus irgendeinem Grund übersehen haben. Ihr Bronco hat die Leitplanke durchbrochen und ist etwa fünfzig Meter tief in den Fluss gestürzt.
Du bist diese Strecke mit Talia schon über ein Dutzend Mal gefahren. Es ist der Weg zu ihren Eltern im Süden des Staates. Aber jedes Mal bist du am Steuer gesessen, nicht Talia.
Wollte sie zu ihren Eltern?, fragt dich der Trooper. Du erinnerst dich nicht mehr an deine Antwort. Vermutlich lautete sie ja. Aber du bist wohl nicht näher darauf eingegangen, ob sie bloß ihre Eltern besuchen oder dich für immer verlassen wollte.
Eigentlich hätte ich fahren sollen, erklärst du dem Trooper. So, als wolltest du dich rechtfertigen, obwohl keiner dich beschuldigt hat. Ihr hattet diesen gemeinsamen Wochenendtrip schon seit langem geplant, aber wie immer kam dringende Arbeit dazwischen. Du wolltest einem letzten entscheidenden Hinweis im Fall Senator Almundo folgen. Während die Staatsanwaltschaft bereits an ihrer Widerlegung feilte, hast du einen weiteren Zeugen auf seine Aussage vorbereitet. Er sollte der letzte Nagel im Sargdeckel dieses Falls werden, bei dem du dir zum ersten Mal echte Chancen auszurechnen begannst.
Ich tu das nur für uns, hast du dir selbst eingeredet, während du bis in die frühen Morgenstunden über der Almundo-Verteidigung gebrütet hast. Wenn wir diesen Fall gewinnen, wenn wir das Unmögliche schaffen, dann bin ich im Geschäft. Dann haben wir ausgesorgt. Emily kriegt alles, was sie sich je gewünscht hat. Und Talia wird alles bekommen, was sie verdient. Gleichzeitig konntest du nur schwer verdrängen, dass du es vor allem auch für dich selbst getan hast, um dein persönliches Ego aufzuwerten. Du warst scharf auf den Adrenalinkick dieses Sensationsprozesses, auf die Meute von Reportern, die dich
täglich umringte, und darauf, deinen Namen fettgedruckt in der Watch zu lesen.
Als der Anruf kam, hast du in deinem Büro neben dem Telefon auf eine Rückmeldung deines Informanten gewartet. Mit Hilfe seines alles entscheidenden Hinweises hofftest du den Siegtreffer zu erzielen. Ernesto Ramirez, ein hochrangiges Mitglied der Straßengang Latin Lords, wollte dir an diesem Tag eine wichtige Nachricht übermitteln. Der Theorie der Staatsanwaltschaft zufolge war Senator Almundo Chef eines Erpresserrings, der Columbus Street Cannibals, der die West Side der Stadt terrorisierte, und auf dessen Konto unter anderem die Ermordung eines lokalen Geschäftsbesitzers namens Alvin Green ging. Der Mann hatte sich geweigert, das obligate Schutzgeld zu entrichten. Du hast Ernesto Ramirez im Alleingang aufgestöbert, hast Eigeninitiative bewiesen und bist prompt auf eine potenzielle Goldmine gestoßen: Ernesto kann bezeugen, dass der Ladenbesitzer nicht von den Cannibals ermordet wurde, sondern von einer konkurrierenden Straßengang, den Latin Lords. Diese Aussage ließe die Argumentation der Anklage wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Doch der Tag war zur Nacht geworden, und du sahst dich gezwungen, Talia abzusagen. Sie beschloss, Emily einzupacken und trotzdem zu fahren. Etwa um zehn Uhr abends warst du dann in richtig düsterer Stimmung und hast dich gefragt, ob dieser entscheidende Hinweis wirklich ein Wochenende mit deiner Familie wert war. Und erst als das Telefon klingelte, fiel dir ein, dass Ernesto dich immer auf dem Handy anrief und nie auf
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