Der Mann im Schatten - Thriller
spielte an einem seiner Manschettenknöpfe, während er im Büro seines Klienten wartete. Der Raum war riesig, aber sehr spartanisch eingerichtet. Das Büro eines Mannes, der sich nicht um Details kümmerte, sondern souverän delegierte und widerspruchslosen Gehorsam erwartete.
Er erhob sich, als sein Klient durch eine Seitentür eintrat.
»Hallo, Carlo«, sagte Smith.
Carlo ließ seinen massigen Körper in den gepolsterten Chefsessel fallen und fixierte Smith. »Erzähl mir von dem Anwalt.«
»Er heißt Jason Kolarich. Er ist gemeinsam mit Sammy Cutler aufgewachsen. Direkte Nachbarn. In der Nähe Fortyseventh und Graynor, Leland Park, na ja, du kennst die Gegend. Die Mutter war Hausfrau. Der Vater ein Kleinkrimineller. Falschspiel, Betrug, solche Sachen. Er sitzt gerade acht Jahre wegen Hypothekenschwindels.«
»Wo?«, wollte Carlos wissen. »Wo sitzt er?«
Smith dachte einen Moment nach. »Marymount.«
Carlo schwieg. Vermutlich überlegte er, ob sein langer Arm bis ins Zuchthaus von Marymount reichte. Smith hätte darauf gewettet.
»Ich weiß nicht, ob sein Dad ihm viel bedeutet«, bemerkte er.
Carlos starrte Smith finster an. Ihm gefiel die Unterstellung nicht, die in Smiths Kommentar mitschwang.
»Weiter«, befahl Carlo.
Smith nickte dienstbeflissen. »Er hat einen jüngeren Bruder namens Pete. Der Junge hat selbst ein bisschen was auf dem Kerbholz, aber nichts Gravierendes. Bei Pete ist der Apfel wohl nicht weit vom Stamm gefallen. Er lebt hier in der Stadt. In seiner Freizeit konsumiert er gerne gelegentlich Drogen.«
Carlo merkte auf.
Smith kannte seine Notizen auswendig. »Jason Kolarich ist mal Footballspieler gewesen, ein richtig guter sogar. Ein Wide Receiver. Hat sich damit ein College-Stipendium ergattert. Aber sie haben ihn rausgeworfen, nachdem er sich mit einem Mitspieler geprügelt hat. Der Typ lag danach im Krankenhaus.«
»Im Krankenhaus.« Carlo gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Ein Kämpfer.«
»Hat aber das College trotzdem abgeschlossen«, fuhr Smith fort. »Er hat sich die letzten beiden Jahre durchgebissen und dann Jura studiert. Anschließend war er ein paar Jahre lang Staatsanwalt. Was man so hört, war er recht gut in seinem Job. Er war für Kapitalverbrechen zuständig, bis er in den privaten Sektor gewechselt ist. Dort hat er für die Anwaltskanzlei Shaker, Riley und Flemming gearbeitet, eine namhafte Firma in der Stadt. Er hat einen Senator verteidigt, der wegen Erpressung und Bestechung angeklagt war. Und hat den Fall gewonnen.«
»Er hat gegen das FBI gewonnen?«
»Sieht so aus.«
Carlo schien beeindruckt. »Was ist mit Familie? Frau? Kinder?«
Smith schüttelte den Kopf. »Kolarichs Frau Talia und ihre kleine Tochter Emily sind vor ein paar Monaten bei einem Autounfall gestorben. Ihr Wagen ist irgendwo im Süden des Staates von der Landstraße abgekommen.«
»Jesus.« Carlo verzog das Gesicht. Smith wusste, dass sogar Carlo gelegentlich etwas wie Mitgefühl empfand. »Muss den armen Kerl ziemlich gebeutelt haben.«
»Allerdings«, bestätigte Smith. »Jeden Mittag um die Lunchzeit fährt er zum Friedhof und hockt sich an ihr Grab. Dort bleibt er eine Stunde, dann geht er zurück in die Arbeit.«
»Verstehe.« Carlo erhob sich aus seinem Stuhl und schritt in seinem weitläufigen Büro auf und ab. Ein Mann wie er tat sich schwer mit derlei Gefühlsregungen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie demnächst in einen Wutanfall umschlagen. »Jesusmaria, was sollen wir mit so einem Typen anfangen? Ein unberechenbarer Schläger, der gerade Frau und Kind verloren hat?«
Smith war sich nicht sicher, wie er darauf antworten sollte. »Er hatte eine vielversprechende Karriere in einer Top-Kanzlei vor sich, bevor all das passiert ist. Aber nach dem Tod seiner Familie ist er abgetaucht, hat die Firma verlassen und drei Monate kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Als er wieder auf der Bildfläche erscheint, eröffnet er eine Ein-Mann-Kanzlei. Er teilt sich das Büro mit einer Freundin aus HighschoolZeiten und übernimmt ausschließlich kleine Fälle. Soweit ich das beurteilen kann, sitzt er noch nicht richtig fest im Sattel. Er arbeitet nur sporadisch. An manchen Tagen verlässt er kaum das Haus. Und die Nächte schlägt er sich zumeist in Bars um die Ohren, schleppt aber nie jemanden ab. Er lässt
sich einfach volllaufen und geht dann nach Hause.« Smith legte eine kurze Pause ein. »Ich halte den Mann nicht unbedingt für verlässlich, aber Cutler hat ihn
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