Der Mann im Schatten - Thriller
also nicht zufällig aus Blinden und Taubstummen bestehen, überzeugen Sie Sammy besser von seiner vorübergehenden Unzurechnungsfähigkeit.
Olearis Tonfall konnte ich entnehmen, dass er mir in dieser Beziehung kaum mehr Erfolg zutraute als sich selbst. Doch plötzlich kam mir eine Idee. Offensichtlich wurde mein Hirn immer noch von einigen aktiven Synapsen befeuert. »Haben Sie das Vorstrafenregister Perlinis in Ihrer Akte?«
»Klar. Ich schicke Ihnen den ganzen Kram rüber, sobald die Richterin Sie offiziell eingesetzt hat.«
Morgen würde ich vor Richterin Kathleen Poker erscheinen und offiziell zum Nachfolger von Patrick Oleari bestimmt. Ich konnte es kaum erwarten, die gesamten Akten genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Hey, nichts für ungut.« Oleari nickte mir zu. »Aber wie kommt es, dass jemand, der mal Politiker vor einem Bundesgerichtshof verteidigt hat, sich mit so einem Fall herumschlägt?«
Offensichtlich hatte Oleari den Almundo-Prozess ebenfalls mitverfolgt. Das FBI verliert nicht allzu oft vor Gericht, und eine Menge Menschen hatten damals Notiz davon genommen. Oleari ging wahrscheinlich davon aus, dass ich immer noch in meiner früheren Nobelkanzlei beschäftigt war, und ich hatte im Moment nicht den Nerv, ihn auf den neusten Stand zu bringen. Also wunderte sich Oleari zu Recht, wieso ich in meiner Selbstlosigkeit jemanden wie Sammy Cutler vertrat.
»Sammy und ich kennen uns von früher«, erklärte ich knapp. Dann dankte ich ihm und ging.
Mir war eine Idee gekommen, wie ich Perlinis jämmerliches Leben trotz allem vor der Jury ausbreiten konnte. Ein waghalsiges Manöver, und ich hatte nur vier Wochen Zeit, es vorzubereiten, aber es war unsere einzige Chance.
Außerdem würde ich Hilfe benötigen. Ich musste einen
Privatermittler engagieren. Auch ein Stoßgebet zum Himmel hätte sicher nicht geschadet, wenn ich noch an diese Dinge geglaubt hätte.
In Gedanken versunken fuhr ich ins Büro zurück. Ich dachte an die alten Zeiten, damals, in Leland Park. Ich konnte mich nicht an ein Leben vor Sammy erinnern. Er war mein erster und mein bester Freund gewesen. Unsere beiden Mütter arbeiteten beide halbtags und wechselten sich im Kinderhüten ab. Daher waren wir immer entweder bei ihm oder bei mir. Seit dem frühen Krabbelalter steckten wir jeden Tag zusammen, unter der Aufsicht einer unserer Mütter, und es gab für mich keinen Unterschied zwischen seinem Zuhause und meinem. Wenn ein Spielzeug oder ein Socken oder ein Päckchen Buntstifte fehlte, wurde nicht als Erstes mein Zimmer gründlich durchsucht, sondern ein Ausflug ins Nachbarhaus unternommen. Die Hälfte meiner Mahlzeiten aß ich nebenan. Und dort machte ich auch die Hälfte meiner Windeln voll.
Sammy und ich gegen den Rest der Welt, so hatte es sich immer angefühlt. Alle betrachteten uns als unzertrennliches Team, als wären wir Zwillinge. Bei meiner ersten Prügelei, die bereits im Kindergarten stattfand, musste ich nicht mal selbst zuschlagen. Sammy tauchte irgendwo aus dem Nichts auf und verpasste Joe Kinzley eins auf die Nase, nachdem dieser mich geschubst hatte.
Wir waren nie getrennt, und es fühlte sich so an, als würden wir uns auch niemals trennen.
Niemand hätte Sammy Cutler und Jason Kolarich je für Musterknaben gehalten. Wir waren arm und nahmen uns gewisse Freiheiten gegenüber dem Gesetz heraus. Ladendiebstahl war unsere bevorzugte Methode. Wir klauten alles, von Süßigkeiten und Baseball-Sammelbildern bis hin zu Schmuck
und Klamotten. Den Kram verhökerten wir dann unserem Nachbarn, einem Arbeitslosen namens Ice, der uns die Hälfte des Ladenpreises in bar auszahlte. Mit dreizehn fingen wir an, Dope zu rauchen, und bald verkauften wir es auch, um so unsere Jobs im Lebensmittelladen aufzubessern. Wir fühlten uns als Rebellen. Wir hatten keinen Respekt vor nichts und niemandem. Nur zu unserem Vergnügen begingen wir kleine kriminelle Delikte, warfen Steine durch Fensterscheiben, besprayten Garagentüren, zerkratzten teure Autos, die den Fehler begangen hatten, in unserer Nachbarschaft zu parken. Wir ließen keine Gelegenheit aus, ein bisschen Krawall zu stiften, um das Leben zu Hause erträglicher zu gestalten.
In meinem Freshman-Jahr auf der Bonaventure war ich mit Vollgas unterwegs auf der Straße nach Nirgendwo. Zwar war mir an diesem Punkt meines Lebens bereits klar, dass ich nicht auf den Kopf gefallen war, aber ich sah keinen Anlass, Kapital daraus zu schlagen. Das College war damals für mich keine
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