Der Mann im Schatten - Thriller
Option. Wahrscheinlich hatte ich meinem Vater zu aufmerksam gelauscht, der keine vorteilhafte Meinung von mir und meiner Zukunft hatte. Und dann, ausgerechnet im Sportunterricht, erfuhr mein Leben eine Wende. Als beim Footballspielen ein weiter Pass durch die Luft segelte, fühlte ich mich aus irgendeinem Grund bemüßigt, ihm hinterherzujagen und ihn mit ausgestrecktem Arm zu schnappen. Damit sicherte ich mir nicht nur den Ball, sondern auch die Aufmerksamkeit des Footballtrainers der Schule. Es war wie eine Szene aus einem Film. Wie heißt du, Junge?, wollte er wissen. Ich wusste genau, wer er war. Jeder kannte Coach Fox. Aber wenn man zu den Kids gehörte, die abseits des Campus Gras rauchten, nie Hausaufgaben machten und generell jede schulische Veranstaltung mieden, dann war Coach Emory Fox der Antichrist.
Payton, log ich. Walter Payton.
Okay, Walter Payton. Ich will, dass du hier auf dem Trainingsfeld erscheinst, gleich nach der Schule.
Ich weiß nicht mehr, warum ich mich darauf einließ. Eigentlich hätte es eher zu meiner smarten Art gepasst, mich davor zu drücken. Aber ich ging hin, und er absolvierte ein Probetraining mit mir. Ich stand gemeinsam mit dem besten Quarterback der Schule, Patrick Gillis, auf dem Spielfeld, und er zeigte mir, welche Wege man laufen musste, bevor er den Ball in meine Richtung schleuderte, während einer der Verteidiger vergeblich versuchte, mich abzuschirmen. Es fühlte sich so natürlich an wie Atmen, einem fliegenden Football hinterherzuhetzen, ihn zu packen, zu umklammern und damit davonzustürmen.
Sammy lachte, als ich ihm erzählte, wo ich gewesen war. Sie wollen, dass ich mitmache, erklärte ich ihm. Er will mich ins Footballteam der Schule aufnehmen. Sammy musterte mich, offensichtlich in Erwartung der Pointe. Du willst im beschissenen Footballteam mitspielen, Koke?
Und in seinen Augen spiegelte sich tiefe Enttäuschung, das Gefühl, verraten worden zu sein, als ich ihm erklärte, ja, ich werde ins Footballteam einsteigen.
Du schuldest mir was, Koke, hatte Sammy vor wenigen Stunden zu mir gesagt. Worte, die er damals nie ausgesprochen hätte.
Ich rieb mir die Augen und seufzte. Mir blieben vier Wochen, um meine Schuld zurückzuzahlen. Vier Wochen, um zu beweisen, dass Griffin Perlini tatsächlich Sammys Schwester Audrey entführt und ermordet hatte.
Diese Woche würde ich, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren, wieder in mein altes Viertel zurückkehren.
12
Der Ankläger im Cutler-Fall hieß Lester Mapp. Ich kannte ihn nicht persönlich, hatte aber im Internet ein paar Dinge über ihn herausgefunden. Er war sechs Jahre als Bundesanwalt tätig gewesen und dann zu Howser und Greg gewechselt, einer auf Strafrecht spezialisierten Kanzlei mit vorwiegend afroamerikanischen Partnern. Zwei Jahre darauf hatte ihn der neu gewählte Bezirksstaatsanwalt, ein schwarzer Ex-Stadtrat namens Damien Sands, zurück ans Gericht geholt. Sands hatte mehrere Afroamerikaner auf hohe Posten in der Staatsanwaltschaft gehievt. Nach allem, was man hörte, beklagten sich einige Langgediente über umgekehrte Diskriminierung. Ich persönlich hielt das für ein Gerücht. Ohne Zweifel hatte man in den letzten Jahrzehnten einigen sogenannten Minderheiten berechtige Aufstiegschancen verwehrt. Außerdem kriegt der Gewinner bekanntlich immer den Neid der Verlierer zu spüren. Wenn man lauter ehrgeizige Politiker als Kollegen hat, darf man nicht allzu viel Fairness erwarten. Und wenn es einem nicht schmeckt - da ist die Tür.
Davon abgesehen habe ich mit der Rassismusdebatte ohnehin nicht viel am Hut. Ich mag alle Menschen gleich wenig.
Die Richterin in unserem Fall war die ehrenwerte Kathleen Poker. Sie hatte das Richteramt nach vielen Jahren als Anklägerin übernommen - welcher Strafrichter hatte das nicht - und galt als hart, aber fair. Ich hatte bisher nie mit ihr zu tun gehabt, aber ihrem Ruf nach zu urteilen, war sie eher ein Glücksfall für uns.
Ich hockte im Gerichtssaal inmitten von Heerscharen weiterer Strafverteidiger, die auf ihre Termine warteten. Alles
in allem kein sonderlich ansehnlicher Haufen. Das hier waren keineswegs die Anwälte, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, mit ihren Tausend-Dollar-Anzügen und todschicken Frisuren, die klischeehaft leidenschaftlichen, selbstlosen Streiter. Das hier waren Jungs und Mädels, die hart um ihr Überleben kämpften. Sie verlangten von ihren Mandanten Vorkasse, ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn sie gut waren, verloren sie nur
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