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Der Mann im Schatten - Thriller

Der Mann im Schatten - Thriller

Titel: Der Mann im Schatten - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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anfertigen lassen. Ich hockte mich in den Stuhl und schaukelte. Meine Augen tanzten, als ich sie schloss. Ich bildete mir ein, sie immer noch riechen zu können: das Babyöl, die Creme, mit der wir ihren Po eingerieben hatten. Ich sah ihr Gesichtchen vor mir, das Leuchten darin, wenn ich sie hochhob.
    Ich riss die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. Gefühle quollen in mir empor, drohten mir die Luft abzuschnüren. Liebe war für mich immer mit Schmerz verbunden gewesen, mit Verletzlichkeit, mit der Angst, das zu verlieren, was man liebt, wenn man sich ihm ganz hingibt. Aber nun waren sie tot, also brauchte ich den Verlust nicht mehr zu
fürchten, und nur die Liebe blieb zurück, rein, unverfälscht, überwältigend.
    Ich erhob mich aus dem Stuhl, knipste das Licht aus und verließ den Raum. Nachdem ich mich ausgezogen hatte, schlüpfte ich ins Bett. Doch ich kam nicht so schnell zur Ruhe. Ich starrte an die Decke und dachte über Shaunas Worte nach. Bis zu einem gewissen Punkt hatte sie Recht. Ich vermischte zwei Dinge: das Bedauern, wegen meiner Arbeit nicht genug Zeit mit meiner Familie verbracht zu haben, und die Trauer über ihren Verlust. Ersteres überwog bei mir Letzteres, daher gab ich mir selbst die Schuld an ihrem Tod.
    Trotzdem, eine Tatsache ließ sich nicht von der Hand weisen: Ich hätte an diesem Wochenende mit Talia und Shauna aufs Land fahren sollen. Mein Boss hatte mir grünes Licht gegeben, und auch mit dem Klienten war alles abgesprochen. Das Ende des Prozesses näherte sich, die Verteidigung würde in Kürze ihre Schlussplädoyers halten und meine Zeugen hatten bereits alle ausgesagt. Verbringen Sie etwas Zeit mit Ihrer Familie, hatte Paul mir geraten. Betrachten Sie das als einen Befehl. Aber ich musste natürlich den Überflieger markieren. Mir war ein neuer Hinweis zugespielt worden. Ernesto Ramirez, der ehemalig Latin Lord, war im Besitz von Informationen, die der Theorie der Staatsanwaltschaft einen vernichtenden Schlag versetzen würden. Mit ihrer Hilfe hoffte ich nachzuweisen, dass der Mord an einem Ladenbesitzer von einer rivalisierenden Bande verübt worden war, nicht von der Gang, zu der Hector Almundo angeblich Verbindungen unterhielt. Die Regierung hat die falsche Straßengang im Visier, hätten wir der Jury verkündet.
    Es war allein meine Entscheidung gewesen, zu Hause zu bleiben und dieser Spur nachzugehen, statt das Wochenende
mit meiner Familie auf dem Land zu verbringen. Konnte ich die Lords anstelle der Columbus Street Cannibals mit dem Mord an dem Ladeninhaber in Verbindung bringen, wäre das gesamte Fundament der Anklage untergraben. Sie würde in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. Senator Hector Almundo stand zwar noch wegen zahlreicher weiterer Vergehen vor Gericht, doch waren sie alle an den zentralen Anklagepunkt des Mordes geknüpft.
    Ich hatte also beschlossen, den Helden zu geben, anstatt meine Frau zu ihren Eltern und mein Kind zu seinen Großeltern zu bringen. Ich hätte an diesem Abend am Steuer des Wagens sitzen sollen.
    Mitten in diesen Gedanken döste ich ein. Als ich die Augen wieder aufschlug und auf die Uhr spähte, war es kurz nach drei Uhr morgens. Diesmal hatte mich allerdings nicht Emilys Schreien geweckt. Es war das Telefon, das neben meinem Bett schrillte.
    Mein Bruder Pete war dran.
    »Jason«, stieß er atemlos hervor. »Ich stecke in Riesenschwierigkeiten.«

19
    Eine Szene wird dir immer in Erinnerung bleiben: Ein Abendessen mit der ganzen Familie, an sich schon ein ungewöhnliches Ereignis. Normalerweise ist der Alte abends immer unterwegs, geht seinem Geschäft bei Pokerrunden und in Bars
nach, kleine Betrügereien, mit denen er das nötige Geld für die Einkäufe nächste Woche ergaunert, wenn er es nicht gleich wieder versäuft. Nicht so an diesem Abend. Spannung liegt in der Luft, wie immer in seiner Anwesenheit. Mom hat schweigend den Braten, die Kartoffen und das Karottengemüse aufgetragen. Der Alte - du nennst ihn nur Jack, wenn auch nie in seiner Gegenwart - liest die Zeitung und brummt irgendwas Unverständliches vor sich hin.
    Er schüchtert dich nicht mehr ein, so wie früher. Deine Fähigkeit, einen Football zu fangen und durch eine Linie von Verteidigern zu brechen, hat dafür gesorgt, dass du in diesem Haus eine Art Immunität genießt. Das heißt aber noch lange nicht, dass das auch für die anderen gilt, für deine Mutter und Pete. Dein Bruder späht hinüber zu Jack, während er langsam kaut. Du fragst dich, ob aus

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