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Der Mann im Schatten - Thriller

Der Mann im Schatten - Thriller

Titel: Der Mann im Schatten - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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brachte mir einen frischen Wodka, und Shauna musterte mich.
    »Sag was«, forderte ich sie auf.
    »Ich soll was sagen?«

    »Ja, sag irgendwas, verdammt.«
    »Okay, okay.« Sie wischte sich den Mund mit ihrer Serviette ab. »Komm endlich wieder in die Pötte, Jason.«
    »Wie war das?«
    »Reiß dich am Riemen. Komm wieder in die Gänge.«
    »Moment, warte mal. Wird das jetzt vielleicht eine dieser aufrüttelnden Reden? Meine Frau und mein Kind sind tot, aber ich lebe noch? Sie würden wollen, dass ich mit meinem Leben weitermache? So was in der Richtung?«
    Shauna wandte den Blick ab, eine Art der Missfallensbekundung, die sie äußerst effektiv einsetzte. »Ich habe mich jetzt vier Monate zurückgehalten. Vier Monate habe ich zugesehen, wie du dich selbst geißelst und für den Tod von Talia und Emily verantwortlich machst. Du bemitleidest dich nicht etwa selbst. Das hätte ich ja noch verstanden. Nein, du drehst die Sache so hin, als wäre alles allein deine Schuld.«
    Ich nahm einen ordentlichen Schluck von dem Stoli, den die Kellnerin vor mir abgestellt hatte.
    »Und jetzt ziehst du die gleiche Nummer bei deinem Bruder durch. Und das, obwohl er, meinem letzten Wissensstand zufolge, fast dreißig Jahre alt ist und damit offensichtlich zu den erwachsenen Menschen zählt.«
    »Ach, wirklich?«
    »Komm mir jetzt nicht mit Ironie. Bitte, tu das nicht.« Beim Gestikulieren wischte ihr Ärmel über die Soßenreste auf ihrem Teller. »Ich verstehe, dass du dich mies fühlst, weil du in diesen Prozess eingespannt warst, als Emily geboren wurde. Und ich ahne, wie hart das alles für Talia gewesen sein muss. Ich habe damals sehr wohl mitgekriegt, dass ihr Probleme in eurer Ehe hattet. Das Timing war einfach furchtbar ungünstig. Dein Kind kam zur Welt, während du als zweiter
Anwalt in einem Monsterprozess aufgetreten bist, der ausschlaggebend für deine zukünftige Karriere war. Okay. Also hatte der Prozess Priorität. Das ging nicht anders. Du hast es für deine Familie getan.«
    »Hab ich das wirklich?«
    Sie lehnte sich zurück. »Natürlich. Was denn? Findest du es etwa verwerflich, dass du es gleichzeitig auch ein bisschen genossen hast? Dass dein Ego dadurch aufgewertet wurde? Dass dieser sensationelle Fall deine ganze Aufmerksamkeit gefesselt hat? Oder dass du darauf abgefahren bist, deinen Namen in der Zeitung zu lesen? Ist das etwa ein Verbrechen? Dir hat einfach deine Arbeit Spaß gemacht, Jason. So was ist erlaubt.«
    »Erzähl das...«
    »... Talia und Emily. Ich weiß. Ich hab’s kapiert. Das hab ich inzwischen schon fünfzigmal gehört. Aber du hättest es wiedergutgemacht, Jason. Ich kenne dich. Ich bin mir sicher, das hättest du getan. Du hast nur nie die Chance dazu erhalten, weil ein tragischer Unfall dazwischenkam. Aber deswegen ist das Ganze noch lange nicht deine Schuld. Siehst du den Unterschied? Wenn du also schon jeden Tag um die Mittagszeit zum Grab deiner Frau und deiner Tochter pilgerst, um mit ihnen zu reden...«
    Ich zuckte zusammen.
    »Ja«, fuhr sie fort, »ich bin dir gefolgt. Und es ist mir völlig egal, ob dir das passt oder nicht. Wenn du sie also weiterhin jeden Tag besuchst, dann erzähl ihnen meinetwegen, wie sehr du sie liebst und wie sehr du sie vermisst. Aber erzähl ihnen auch, dass du vorhattest, sie für diese verlorene Zeit zu entschädigen und nie die Gelegenheit dazu hattest. Und sag ihnen, dass du nicht für ihren Tod verantwortlich bist. Okay?«
    Am Nachbartisch feierte eine Frau ihren Geburtstag. Die
Bedienung brachte ihr ein Stück gefrorene Torte mit einer einzelnen Kerze darauf, und der ganze Tisch grölte ein Lied. Alle schienen Freude an dem Riesenspektakel zu haben.
    Nächste Woche hatte Talia Geburtstag.
    Ich deutete in Shaunas Richtung. »Du hast deinen Ärmel in die Soße gehängt.«
    »Ich weiß, und es kotzt mich an. Ich hab die Bluse gerade neu gekauft.« Sie tauchte ihre Serviette in das Wasserglas, und plötzlich lachten wir beide.
     
    Ich nahm ein Taxi nach Hause. Mein Hirn war leicht benebelt vom Wodka. Ich hatte mir ein paar Akten aus dem Büro mitgenommen, war aber weder in der Stimmung noch in der Verfassung, sie jetzt zu studieren.
    Stattdessen betrat ich Emilys Zimmer. Mein Herz zog sich zusammen, als ich das Licht anknipste - den lustigen kleinen Kronleuchter, den Talia fürs Kinderzimmer besorgt hatte. Der ganze Raum war pink und grün gestrichen, von den Wänden über das Kinderbettchen bis hin zu dem Schaukelstuhl, den Talia eigens hatte

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