Der Mann im Schatten - Thriller
sich das Wohnzimmer und die Küche befanden, alles mit Parkettboden ausgelegt und mit kleinen Fenstern und grünen Möbeln ausgestattet, und entdeckte Novotny in der Ecke des Raums, wo er eben den Stecker einer Schleifmaschine herauszog.
»Letzte Woche hab ich den neuen Parkettboden verlegt«, erklärte er mir und wischte sich den Staub von den Händen.
»Hab im Moment bisschen mehr Freizeit als üblich.« Novotny war ein gewerkschaftlich organisierter Anstreicher.
»Schwer, Arbeit zu finden?«
»In letzter Zeit schon. Ich arbeite im Baumarkt, wenn ich keine Aufträge habe.« Er nickte in Richtung Zimmerecke. »Die haben mich für ’ne Woche die Schleifmaschine entführen lassen.«
Ich setzte mich auf einen Stuhl ihm gegenüber und korrigierte meinen ersten Eindruck. Er hatte das faltige, braune Gesicht eines Menschen, der viel draußen arbeitete, passend zu seinen kräftigen Händen. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Er wirkte wie ein Mann, der einmal voller Energie gesteckt hatte, es inzwischen körperlich etwas langsamer angehen ließ, mental aber kein bisschen nachgelassen hatte. Mit einer Spur von Amüsement blickte er mir unverwandt in die Augen.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er. »Wenn ein Anwalt einen sprechen will, macht man sich natürlich sofort die wildesten Gedanken.«
»Klar, verstehe.« Ich hob eine Hand. »Archie, ich vertrete Sammy Cutler.«
Er wirkte nicht überrascht. »Klar, Sammy. Hab gehört, was passiert ist. Geht die Sache gut für ihn aus, was denken Sie?«
»Ich hoffe es. Ich tue alles, was in meiner Macht steht.«
Er musterte mich. »Unter anderem mit mir reden.«
Ich lächelte ihn an.
»Warum?«, fragte er. »Wollen Sie, dass ich der Jury erkläre, dass Griffin Perlini ein krankes Stück Scheiße war? Dass er verdient, was er bekommen hat?«
Schlagartig wirkte er wie ausgetauscht, die Hitze stieg ihm ins Gesicht, er ballte die Fäuste und spannte die Schultern an.
Trotzdem hatte mein Instinkt noch kein klares Urteil über ihn gefällt. Hätte jemand meine Tochter missbraucht, ließe so ein Ereignis auch in mir die Erinnerungen wieder hochkochen, egal, wie viel Zeit inzwischen vergangen war.
»Nennen Sie mir einfach Zeit und Ort, wenn es das ist, was Sie wollen«, sagte er.
Das klang schon recht vielversprechend. Ich hatte den Eindruck, dass es sich lohnte, hier noch etwas weiterzubohren.
»Sie haben bei der Bewährungsanhörung ausgesagt«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob das wirklich zutraf, aber die Drurys hatten es vermutet, und es erschien mir besser, das einfach als Fakt zu konstatieren. Ein Trick, den man als Staatsanwalt bei der Befragung von Zeugen lernt.
»Verdammt, natürlich hab ich das. Sie haben ihm fünfundzwanzig aufgebrummt, und er hätte fünfundzwanzig absitzen sollen.«
Ich musste mir eine Abschrift des Protokolls der Bewährungsanhörung besorgen. Für den Moment versuchte ich es jedoch erneut mit einem Bluff.
»Sie haben sich da mit sehr drastischen Worten geäußert«, sagte ich.
Er ließ sich das eine Weile durch den Kopf gehen, rieb sich die Hände, ballte die Kiefermuskeln. »Meine Tochter hat sich jahrelang in den Schlaf geweint. Wissen Sie, wie das ist? Jody konnte nicht im Dunkeln schlafen. Noch zehn Jahre danach hatte sie Alpträume. Wissen Sie, wie es einem als Eltern mit so was geht? Haben Sie Kinder?«
Ich musste schlucken. Dann entschied ich mich für ein »Nein«.
»Also, eines Tages werden Sie welche haben. Dann ist es Ihre Aufgabe, die Unschuld Ihres Kindes zu schützen, so lange es
Ihnen möglich ist. Und dieser Mann - diese Bestie - hat ihr die Unschuld im Alter von sieben Jahren geraubt. Sie hatte nie eine richtige Kindheit.«
»Ich verstehe...«
»Meine Frau ist gestorben, drei Jahre nach dem Vorfall. Wussten Sie das?«
»Nein«, erwiderte ich.
»Jody hatte schreckliche Panik in der Nacht, sie fand keine Freunde, sie weinte die ganze Zeit, und meine Frau starb in dem Glauben, dass es Jody nie bessergehen würde.«
Ich antwortete nicht. Ich versuchte, das alles auf einer sachlichen Ebene zu halten. Ich versuchte, es so zu betrachten, als hätte ich meinen Mann gefunden. Denn eines war mir schon jetzt klar - diesen Kerl konnte ich der Jury als potenziellen Verdächtigen präsentieren. Allerdings hatte ich noch nicht entschieden, ob ich wirklich in der Lage wäre, diesen Weg einzuschlagen, ob ich einer tiefen Wunde auch noch diese Schmach hinzufügen konnte.
Arbeitete dieser Kerl mit Smith
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