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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Sinatra-Album, das erst vor kurzem mit sensationellem Erfolg erschienen ist und das in den Plattenläden in Österreich vor meiner Abreise noch nicht erhältlich war. Und jetzt kann ich die Lieder doch noch einmal hören. Wir sehen uns an, müssen bei dem Titel beide lächeln. Dieses Lied am Tag vor meiner Abreise nach New York! Was für ein Zufall und was für eine Gelegenheit für Melancholie, die keiner von uns aufkommen lassen möchte. Die Musik stellt mit ihrer ansteckenden Leichtigkeit alle anderen Gefühle in den Schatten, läßt für Augenblicke alles andere auf der Welt völlig unwichtig erscheinen. Es gibt nur diesen Moment, und der ist gut. Eine Kraft, die mit nichts vergleichbar ist. Ich höre zu und fühle genau, was Gitta meint, weiß, daß sie im Grunde recht hat, fühle aber gleichzeitig eine beklemmende Überforderung, habe keine Ahnung, wie ich das, was an meinem Weg nicht in Ordnung ist, ändern soll.
    Ich schüttle den Kopf. »Ich bin nun einmal alles andere als der Superstar, der bei Plattenaufnahmen bestimmen kann, welche Nummern er singt«, erwidere ich trotzig und mime sarkastisch den Ton einer Diva. »›Das singe ich nicht‹, das wäre in meiner Situation doch vollkommen undenkbar! Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Ich kann doch nicht …«
    Gitta unterbricht mich: »Das verstehe ich ja, aber ich habe eigentlich immer gedacht, du möchtest deine eigene Musik machen. Und wenn dem so ist, dann wirst du etwas riskieren müssen. So, wie es im Moment läuft, verrätst du dich selbst, so empfinde jedenfalls ich das! Irgendwie weiterkommen um jeden Preis und gegen deine Seele, ich glaube, das rächt sich irgendwann.« Nach einem hektischen Zug an der Zigarette fährt sie energisch fort. »Es scheint mir manchmal fast ein wenig so, als wolltest du diese Karriere so sehr, daß dir fast völlig egal ist, was dabei auf der Strecke bleibt. Nicht nur in deinem Privatleben, sondern auch in dem, was dich selbst als Mensch und Musiker ausmacht, und das mitanzusehen, läßt mich zweifeln …«
    Ich bin entsetzt. Jetzt scheint sie mir doch ein bißchen zu weit zu gehen.
    »Wie stellst du dir das vor?« erwidere ich heftig. »Soll ich etwa in einem Musikverlag arbeiten und darauf warten, von jemandem
für etwas entdeckt zu werden, das auch vor deinen Augen Gnade findet? Eine Familie gründen, einen geregelten Job annehmen und dem hinterhertrauern, was hätte sein können und abends in der Kneipe meinen Kumpels erzählen, was ich doch für ein großer Musiker geworden wäre, wenn nicht … Ja, wenn was eigentlich nicht … Wenn ich mir nicht zu gut dafür gewesen wäre, auch Angebote anzunehmen, die mich ein wenig unter meinem Wert verkaufen!«
    Ich atme tief durch, beruhige mich etwas, streiche ihr über den Arm. »Entschuldige. Ich verstehe, daß du es gut meinst, aber ich bin wirklich ratlos. Ich kann doch nicht die großen amerikanischen Nummern auf Platten aufnehmen, die ich in den Clubs singe und die natürlich auch mir besser gefallen als die ›Herz-Schmerz-Lieder‹, in denen sich ›Zeit‹ auf ›Leid‹ reimt und ›Glück‹ auf ›zurück‹. Du weißt doch genau, wie ich das finde! Aber mit den großen amerikanischen Nummern hab ich doch auf dem deutschen Markt keine Chance. Die Sinatra-Songs werden eben von Sinatra besser gesungen als von mir.«
    Gitta nickt. »Das mag schon sein, aber warum schreibst du dann nicht deine Lieder selbst? Genau so, wie du sie fühlst, aus den Wurzeln deiner - unserer - Kultur und deiner Seele. Das verstehe ich einfach nicht. Du komponierst instrumentale Jazz-Stücke, die sehr gut sind. Da muß es doch möglich sein, singbare Melodien für dich selbst zu schreiben!«
    Sie hält inne. Für einen Augenblick sehe ich sie bestürzt an. Sie hat ausgesprochen, was ich immer schon gefühlt, aber noch nie zu Ende gedacht habe.
    »Die Musik dafür zu schreiben, traue ich mir ja noch zu, aber woher bekomme ich die Texte? Die müßten dann ja schon anders sein als das Übliche. Die jüdischen Textdichter, die diese herrlichskurrilen Vorkriegsschlager wie ›Veronika, der Lenz ist da‹ oder ›Was machst du mit dem Knie, lieber Hans‹ oder ›Mein kleiner grüner Kaktus‹ und all diese anderen wunderbaren, ironischen Texte voll Wortwitz und Lebensfreude geschrieben haben, die gibt es nicht mehr. Die sind emigriert oder schlimmeres. Man hat fast schon vergessen, daß es solche Lieder, solche Texte in deutscher Sprache gab! Bis jetzt ist jedenfalls niemand gekommen,

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