Der Mann mit dem Fagott
der Zonengrenze.
Und dann kam die Mauer, und bei aller Trostlosigkeit, die sie verbreitet, macht sie doch auch auf eine seltsame Weise kreativ. Eine Kreativität des Trotzes, des »Jetzt erst recht«: Künstler und Intellektuelle aus aller Welt fühlen sich von dieser maroden und in ihrer politischen Brisanz einzigartigen Stadt magisch angezogen. Hier ist ständig alles im Umbruch. Permanente Veränderung. Hier kann man noch etwas bewegen.
Diese Mauer immer im Blick zu haben, täglich an sie zu stoßen, läßt die Gedanken abheben, die Ideen fliegen. Nicht grundlos leben in dieser Stadt so viele Künstler, hier, an diesem unnatürlichen »Ende der Welt«. Sie überwinden die Mauer mit Farben, Tönen,
Worten, schreiben, malen, komponieren gegen sie an, fühlen hier wie kaum irgendwo anders auf der Welt, was wichtig ist, spüren an diesem Rande der Freiheit, was es bedeutet, frei zu sein und fassen die Freiheit in Bilder, Musik und Literatur.
Berlin - eine offene Wunde der Welt - und doch die Stadt, die gerade wegen dieser bizarren Kreativität neben Wien für mich immer die beruflichen Weichen gestellt hat, auch wenn ich nie hier gelebt habe.
Seit einem Jahr lebe ich in Zürich. Die vergangenen elf Jahre waren die turbulentesten meines bisherigen Lebens. Auf unvorstellbare Höhepunkte folgten immer wieder schmerzliche Krisen. Zum ersten Mal in den frühen siebziger Jahren, als meine Popularität an einem ersten schwindelerregenden und wahrscheinlich auch unnatürlichen Höhepunkt angelangt war. Alles, was ich anfing, schien sich plötzlich in einen sicheren Erfolg zu verwandeln, ich hatte einen Höhenflug nach dem anderen, absolvierte 1970 eine Tournee mit 266 ausverkauften Konzerten, wurde gefeiert, geehrt, ausgezeichnet, wo auch immer ich auftrat. Jede Woche war ich auf irgendwelchen Titelbildern zu sehen, einmal auf vier oder fünf der wichtigsten deutschen Magazine gleichzeitig. Das war sicher zuviel des Guten.
Die Stimmung schlug plötzlich um, die Öffentlichkeit schien übersättigt zu sein. Ich war so oft in den Medien zu sehen, daß man begann, meiner überdrüssig zu werden.
Zudem hatte ich die Öffentlichkeit verwirrt, indem ich in dieser Zeit begonnen habe, neben den Liedern, wie man sie von mir kannte und erwartete, auch kritische und unkommerzielle Lieder wie »Lieb Vaterland« zu schreiben; ein Lied, das die Kälte und politische Verkrustung der späten sechziger Jahre aufgriff und thematisierte und mir Kritik von allen Seiten einbrachte. Den Rechten war ich zu links, den Linken nicht links genug und sowieso unglaubwürdig, weil ich selbst gern gut lebte und natürlich auch kein »Protestsänger« oder »Revolutionär« war oder sein wollte. Kritik im Smoking, Kritik von einem, der nach außen hin ein schillerndes Leben führte - das verstörte und machte mich angreifbar. Die Mißverständnisse häuften sich, und ich hatte mich nach allen Seiten in politischen Diskussionen in der Presse und im Fernsehen zu verteidigen.
Als ich dann 1972 auch noch mein Musical-Projekt »Helden,
Helden« nach George Bernhard Shaws Theaterstück »Arms and the Men« auf die Bühne brachte, glaubte man, nun etwas gefunden zu haben, womit man mich endgültig demontieren konnte. Als bei der Premiere im Theater an der Wien in Anwesenheit des Bundespräsidenten die Bundeshymne gespielt wurde, wie es damals bei Musiktheaterpremieren in Wien üblich war, dachten die deutschen Journalisten, es handle sich um einen Publicitygag des cleveren Managers Beierlein. Das war genau die Blöße, auf die man offenbar gewartet hatte. Die deutsche Presse machte sich darüber lustig, stempelte das Stück zum Mißerfolg ab und zitierte nur die negativen Passagen aus den Kritiken. Niemand sprach mehr davon, daß das Theater an der Wien die ganze Saison hindurch äußerst erfolgreiche ausverkaufte Vorstellungen gegeben hatte. Die negative Berichterstattung sorgte allen Publikumsreaktionen zum Trotz dafür, daß über zwanzig Theater in Deutschland, die geplant hatten, das Stück auf die Bühne zu bringen, abgesprungen sind, obwohl wir Vorverträge mit ihnen abgeschlossen hatten - darunter auch das Theater des Westens in Berlin.
Es war für mich eine Zeit voller Selbstzweifel, Überlegungen, mich zurückzuziehen, ähnlich wie früher, in den Jahren meines schleppenden Anfangs.
Meine Familie, meine Freunde und mein Manager Hans R. Beierlein bauten mich wieder auf, und ich habe mich mit der einzigen Waffe zur Wehr gesetzt, die ich zu führen
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