Der Mann mit dem roten Zylinder
Stufen zu vermeiden. Fast zwei Minuten braucht er so bis zum Absatz des oberen Stockwerks.
Der Schein der Taschenlampe verlöscht, und deutlich zeichnet sich unter dem Rand einer Tür ein heller Lichtspalt ab.
Die Musik aus dem Radio ist jetzt so deutlich zu hören, als wolle der Bewohner auch seinen ungebetenen Gast damit unterhalten.
Zwei elastische Schritte bringen den Fremden an die bewußte Tür. Seine Hand legt sich auf die Klinke.
Millimeterweise bewegt sich die Klinke nach unten. Nichts läßt darauf schließen, daß der Bewohner im Zimmer etwas davon merkt. Nach wie vor pfeift er die Melodien aus dem Lautsprecher mit.
Der Spalt ist bereits zehn Zentimeter breit. Breit genug, daß sich eine Hand hindurchtasten kann.
Und da geschieht es.
Der Eindringling hat blitzschnell seine Hand durchgesteckt und den neben der Tür befindlichen Lichtschalter betätigt. Gleichzeitig ist er mit unnachahmlicher Geschmeidigkeit in das nur noch von der Skala des Radios erleuchtete Zimmer getreten.
Sie stehen sich gegenüber: Der Mann im dunklen, enganliegenden Trikot — und der andere, schon im Pyjama. Vier Schritte trennen sie voneinander.
Entgeistert starrt der Überraschte auf den Fremden. „Entschuldigen Sie bitte mein ungewöhnliches Eindringen und besonders — die ungewöhnliche Art. Ich bin weder ein Einbrecher noch ein Dieb. Ich will Sie weder bestehlen noch sonst etwas Ungesetzliches tun.“ Fast monoton klingen die Worte des Fremden.
„Das ist immerhin beruhigend“, erwidert der Mann im Pyjama ironisch.
„Sie sind doch Herr Gunnar Birgström.“
„Allerdings.“
Der Fremde hat in diesem Augenblick nach dem Stecker gegriffen und ihn herausgezogen. Das Radio verstummt, doch gleichzeitig flammt seine Taschenlampe wieder auf.
„Es hat alles seine Ordnung, Herr Birgström“, spricht er dazu beruhigend. „Ich möchte mich nur ein wenig absichern. Später werden Sie mich verstehen.“
Birgström, der langsam ärgerlich zu werden beginnt, antwortet scharf:
„Ich werde die Polizei rufen.“
„Warum?“
Als Gunnar Birgström nicht gleich eine Antwort einfällt, fährt der Fremde fort: „Sie sind Redakteur bei der SVENSKA DAGBLADET. Eine angesehene Zeitung, habe ich mir sagen lassen.“
„Sehr schmeichelhaft, das von Ihnen zu hören“, sagt Birgström voller Spott und überlegt auch schon, wie er das am besten ausschlachten könne.
Unbeirrt fährt der Fremde fort:
„Ich möchte Ihnen etwas bringen!“
„Etwas bringen?“ wiederholt der Redakteur überrascht.
„Ja, eine Information. Sie ist für die Ausgabe von übermorgen bestimmt.“
„Im allgemeinen lassen wir uns nicht vorschreiben, in welcher Ausgabe wir etwas bringen. Außerdem glaube ich kaum, daß Ihre Information für uns von so großer Wichtigkeit ist.“
Birgström läßt sich aufs Bett fallen. Dazu bemerkt er: „Sie sollten eigentlich sehen, daß Sie überflüssig sind.“
„Nehmen Sie bitte Bleistift und Papier zur Hand“, bittet der Fremde unbeirrt. „Was ich Ihnen mitzuteilen habe, betrifft den Mann mit dem roten Zylinder.“ Schlagartig ist Birgströms Interesse geweckt. Er hat sich steif aufgerichtet, und voller Spannung liegt sein Blick auf dem Unbekannten.
„Bitte, nehmen Sie Papier und Bleistift. Ich werde Ihnen leuchten“, wiederholt der Mann seine Aufforderung.
Hastig kramt Birgström in seinem Nachttisch. Er findet einen Bleistiftstummel und einen Fetzen Papier. „Reden Sie!“
Man spürt die Spannung, die plötzlich in der Luft liegt.
Der Fremde richtet den Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf Birgströms Hand.
Dann beginnt er:
„Wie wir soeben aus gut unterrichteter Quelle erfahren, wird bei der heutigen Eröffnungsvorstellung des Zirkus Hamford & Stone auf dem Kalungerplatz auch ein Herr anwesend sein, der seit längerer Zeit das
Hauptgesprächsthema der Stockholmer ist. Es ist: der Mann mit dem roten Zylinder.“ —
Birgström hat sein Schreiben unterbrochen. Ungläubig blickt er auf den Fremden. Dabei fühlt er unbewußt, daß dieser die Wahrheit zu sprechen scheint. Trotzdem fragt er:
„Können Sie das auch beweisen?“
„Im Augenblick nicht!“ erwidert der Besucher. „Aber ich hätte wohl kaum diesen umständlichen Weg gewählt, um Ihnen zu dieser nachtschlafenden Zeit Märchen zu erzählen.“
Dann spricht es Birgström aus. Langsam und bedächtig fragt er:
„Und wer sind Sie?“
„Ich?? Nun, der Mann mit dem roten Zylinder bin ich.“
Birgström ist über dieses Geständnis so
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