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Der Mann mit dem roten Zylinder

Der Mann mit dem roten Zylinder

Titel: Der Mann mit dem roten Zylinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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dem er das Zimmer nicht verschlossen hat. Doch Ola denkt nicht mehr daran, etwas zu unternehmen.
    Es ist kurz nach neunzehn Uhr, als die Zwillinge den Wagen ihres Vaters Vorfahren hören. Jonas wirft einen verstohlenen Blick auf seinen Bruder. Ola tut, als merke er es nicht, und malt weiterhin kleine Männchen auf einen Zettel.
    Sie hören, wie der Vater das Haus betritt und die Treppe hochkommt. Wie er vor ihrer Tür den Schritt verhält und — eintritt.
    „Guten Abend“, wünscht er seinen Zwillingen.
    „Guten Abend“, kommt es zurück. Ola mustert seinen Vater überrascht. Seine Laune scheint sich gebessert zu haben, findet er und harrt der Dinge, die kommen.
    Und sie kommen. Sie kommen so überraschend, daß es ihnen den Atem verschlägt.
    „Zieht eure dunkelblauen Anzüge an, wir gehen in den Zirkus.“
    Ola schluckt schwer. Hatte er sich verhört?
    „In den Zirkus?“
    „Rede ich vielleicht chinesisch? Oder hast du vergessen, dir die Ohren zu waschen? Ach so, vergeßt das Waschen nicht, bevor ihr in eure Sonntagssachen schlüpft.“
    Er scheint es tatsächlich ernst zu meinen, überlegt Ola. Und aus Angst, der Vater könne sich wieder eines anderen besinnen, beschließt er, der väterlichen Anordnung sofort Folge zu leisten. Wie der Wind saust er aus dem Zimmer. Jonas hat schon den Kopf unter dem Wasserhahn, als Ola ins Badezimmer kommt.
    „Na, was sagst du jetzt, Brüderchen?“
    Jonas prustet etwas Unverständliches.
    Schneller als je zuvor sind sie angekleidet.
    Olas Gedanken wirbeln wild durcheinander. Jonas zieht es vor, still auf seinem Stuhl zu sitzen. Auch Erik Olanson zieht sich um. Daß er dabei pfeift, erscheint den beiden als ein gutes Zeichen.
    Dann steht er plötzlich in der Zimmertür.
    „Heute abend werdet ihr den Mann mit dem roten Zylinder kennenlernen. Das wolltet ihr doch immer.“ Jonas sieht seinen Vater an, als habe der soeben behauptet, morgen sei Weihnachten.
    Ola dagegen fragt sofort:
    „Im Zirkus??“
    Erik Olanson nickt. „Ja, im Zirkus.“

Die Sensation im Zirkus

    Seit Stunden sind keine Karten mehr zu haben. Trotzdem umlagern einige hundert Unverwüstliche noch immer die zwei Kassenwagen.
    Das riesige Zelt ist ausverkauft.
    Über sechstausend Zuschauer drängen sich auf den Bänken und atmen die Zirkusluft ein, den Geruch von Tieren, Sägemehl und Stallungen.
    Immer wieder sieht man Tausende von Augen die Bankreihen abwandern. Sie suchen etwas...
    „Loge sechs, bitte.“ Erik Olanson hält dem Betreßten die Karten hin.
    „Bitte, folgen Sie mir.“
    Erik Olanson, Fredrik Hake, Jonas und Ola schieben sich an den Bankreihen vorbei.
    Loge sechs befindet sich unmittelbar neben der Arena. Ola ist mächtig aufgeregt, und so kommt es, daß er mehrere Male über ausgestreckte Beine stolpert. Seine Augen glänzen, und seine Backen glühen. Die Zwillinge bekommen die Plätze vorn an der Manege, während Erik Olanson und Fredrik Hake die rückwärtigen Plätze einnehmen.
    Plötzlich deutet Fredrik aufgeregt in eine der Nebenlogen: „Sehen Sie, Chef. Dort sitzen die Feruzzas.“ Olanson wirft einen Blick in die angegebene Richtung und entdeckt einen alten weißhaarigen Herrn und eine Dame. Doch schon wieder ruft ihn jemand. Diesmal aus der entgegengesetzten Loge. Es ist Gunnar Birgström, der Redakteur der SVENSKA DAGBLADET. Er winkt zurück. Dann sieht er noch mehr bekannte Gesichter. Madame Dupont, die Verliererin der Perlenkette, ist ebenfalls anwesend. Und dort, gleich neben ihr, sitzt doch wahrhaftig — Mister Samuel Rankfield. Auch er hat jetzt Erik Olanson entdeckt und winkt lebhaft mit seinem Hut herüber.
    Die Zirkuskapelle beginnt zu spielen.
    Langsam verebbt das Getuschel und Geflüster in dem gewaltigen Zelt. Über zwölftausend Augen sehen in die Manege.
    Ein großgewachsener Herr in einem dunkelblauen Frack hebt die Hand. Die Musik verstummt.
    Mit freundlichen Worten begrüßt der Mann in der Manege die Gäste und kündigt die Programmnummer eins an. Laut Programmheft eine Pferdedressur.
    Nummer auf Nummer rollt jetzt vor den Augen der über sechstausend Besucher ab. Und alles klappt mit der Präzision eines Uhrwerkes.
    Bis zur Nummer zwölf. Hier enthält das Programmheft statt eines ausgedruckten Progammteils ein dickes Fragezeichen.
    Die Nummer elf, eine Clowneinlage, ist beendet. Der Beifall verrauscht.
    Tiefe Stille als der Ausdruck höchster Spannung liegt über dem Zuschauerraum. Eine Stille, die nur von vereinzeltem Kinderlachen unterbrochen wird.
    Aus

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