Der Mann mit dem roten Zylinder
das Bild eines Wartezimmers, wie es ebenso zu einem Zahnarzt passen könnte. Das einzige, was sich davon unterscheidet, sind einige eingerahmte Gesetzesauszüge.
Patò setzt sich behutsam in einen der Korbstühle, der sofort in mannigfaltiger Art zu knistern und knarren beginnt. Fast eine Viertelstunde vergeht, ohne daß sich etwas tut. Patò langt nach einer Zeitung. Er hat gerade die erste Seite aufgeschlagen, als eine weibliche Stimme geziert fragt:
„Bitte, mein Herr, was wünschen Sie?“
Patò, der das Eintreten des Fräuleins überhört hat, ist kurz zusammengefahren. Jetzt wendet er sich dem Mädchen zu. In seiner Stimme schwingt ein leiser Vorwurf mit, als er sagt: „Sie haben eine seltsame Art, harmlose Leute zu erschrecken, mein Fräulein. Ich möchte gern Herrn Doktor Björnson sprechen.“
„In welcher Angelegenheit?“ Ihre Stimme ist unfreundlich, und Patò hat ganz den Eindruck, daß er ihr nicht gefällt.
„Die Angelegenheit werde ich Herrn Björnson selbst vortragen. Ich brauche keinen Vorsprecher.“ Dazu lächelt er das Mädchen an, als wolle er sagen: Da hast du den Salat.
Ihre Stimme ist eisig. So eisig wie ihr Gesichtsausdruck.
„Wen darf ich melden?“
„Patò!“ antwortet Patò kurz.
„Bitte, ich will mich erkundigen, ob Herr Doktor Björnson Sie jetzt empfangen kann.“
Geräuschlos, wie sie gekommen ist, verschwindet sie wieder durch die gleiche Tür.
„Seltsame Manieren“, brummt Patò leise vor sich hin.
Diesmal dauert es nur knapp zwei Minuten.
„Der Herr Rechtsanwalt läßt bitten!“ Und es klingt wie: Seine Kaiserliche Hoheit hat die Güte und Gnade, den Schafhirten Otto-Friedrich Knickfuß zu empfangen. Um ein Haar hätte ihr Patò die Zunge gezeigt, so begnügt er sich nur mit einem hochnäsigen Hochziehen der Augenbrauen.
Wenn er nun geglaubt hat, daß sich der Reigen der Unfreundlichkeiten fortsetzen werde, sieht er sich getäuscht. Ja, im Gegenteil, fast hat es den Anschein, als wolle Doktor Björnson die Unfreundlichkeit seiner Sekretärin durch doppelte Liebenswürdigkeit vergessen machen. Mit gewinnendem Lächeln geht er Patò entgegen.
Er trägt einen großkarierten modischen Sportanzug und hellgraue Wildlederschuhe. Socken, Krawatte und Ziertuch sind genau auf die Farbe des Anzugs abgestimmt.
Sein Haar trägt der Herr Rechtsanwalt in der Mitte gescheitelt, es ist blond und hebt sich gut von seinem sonnengebräunten Gesicht ab. Und wäre nicht die klobige schwarze Brille mit den dicken Gläsern, könnte man ihn für einen Sportler halten, „Mein Name ist Henry Patò!“ stellt sich der Detektiv vor und streckt Björnson die Hand hin.
„Björnson“, erwidert der Rechtsanwalt überflüssigerweise und schüttelt die dargebotene Hand. Er geleitet Patò zu einem Sessel, der neben dem Schreibtisch steht. Und während er sich selbst hinter diesen begibt, fragt er neugierig: „Was kann ich für Sie tun, Herr Patò?“
Der Detektiv mustert sein Gegenüber einige Sekunden lang. Dann erkundigt er sich: „Mein Name sagt Ihnen nichts?“
Der Anwalt scheint etwas verwirrt zu sein. Und mit einer um Entschuldigung bittenden Stimme versichert er: „Es tut mir sehr leid, Herr Patò... aber ich kann mich wirklich nicht erinnern...“
Patò nickt freundlich.
„Macht nichts... Zunächst eine Frage: Sie standen doch in Geschäftsverbindung mit dem verstorbenen Herrn Holpert?“
Ohne Zögern macht der Anwalt eine bejahende Bewegung.
„Und es stimmt doch, daß Sie derjenige waren, der den Erben den Letzten Willen des Herrn Holpert verlas“, fährt Patò fort und richtet dabei seine Bügelfalten.
„Auch das stimmt“, bestätigt Doktor Björnson, und die Verstimmung in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
Der Detektiv tut, als hätte er es überhört.
„Können Sie sich denken, warum ich nach Kopenhagen gekommen bin?“
„Erstens, lieber Herr Patò“, beginnt der Angesprochene in ironischem Tonfall, „habe ich keine Ahnung, daß Sie nach Kopenhagen gekommen sind. Und zweitens finde ich Ihre Fragestellung äußerst merkwürdig.“
„Das wird sich gleich geben“, besänftigt Patò Doktor Björnson. „Um Punkt eins zu klären: Ich komme aus Köln. Weiter: Ich bin Privatdetektiv und von einem Mann namens Steinbach beauftragt, Nachforschungen in einer Erbschaftsangelegenheit anzustellen.“
„Jetzt wird mir alles klar“, ruft der Rechtsanwalt und schlägt dabei leicht auf die Schreibtischplatte. Und spöttisch setzt er hinzu: „Es geht wieder
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