Der Mann mit den hundert Namen
es bisher nicht zu tun.«
»Kein Hamilton? Halten Sie es für nebensächlich, daß Buchanan auf Decknamen spezialisiert ist? Also wenn Hamilton nun nicht sein richtiger Name ist?«
Kurzes Schweigen. »Ja, Sir, ich verstehe.«
»Seit ihrer Rückkehr aus New Orleans hat sie nichts Ungewöhnliches unternommen. Jetzt tut sie zum ersten Mal etwas, das wir uns nicht ganz erklären können. Um ihretwillen hoffe ich, daß es uns nicht betrifft. Ich möchte davon ausgehen, daß sie die bewußte Story wirklich aufgegeben hat. Gleichzeitig interessiert mich, wer Mike Hamilton ist.«
»Colonel, Sie können sich auf mich verlassen. Bleiben Sie am Apparat. Gerade erreicht mich eine Mitteilung des Überwachungsteams … Jemand nähert sich der Frau.«
Der Colonel starrte unbeweglich auf die gegenüberliegende Wand.
»Falscher Alarm, Sir«, kam die Stimme wieder. »Ein Schwarzer mit einem Plakat, der einen Job sucht. Er bettelt alle Leute im Park an.«
Der Oberst schien aus einem Trancezustand zu erwachen. »Beobachten Sie weiter. Informieren Sie mich. Ich muß ganz genau wissen, was die Frau unternimmt.« Heftig unterbrach er die Verbindung.
»Warum lassen Sie es nicht mal laufen?« fragte Alan, der auf einem Stuhl in der Ecke saß. »Was geschehen soll, das geschieht – ob Sie nun das Telefon fixieren oder nicht.«
»Sie scheinen das nicht ernst zu nehmen.«
»Oh, ganz im Gegenteil. Für mich ist es nur ein Beweis dafür, wie sehr diese Operation uns entglitten ist. Anstatt die Zügel fest in die Hand zu nehmen, vergeuden Sie Ihre Kräfte und machen sich Sorgen um Buchanan und diese Journalistin.«
»Vergeuden?«
»Nach meiner Ansicht sind beide Probleme gelöst. Soll doch Buchanan ein Loch graben und sich selber beerdigen. Er ist abgehauen – und das ist gut. Er wird bald vergessen sein. Und die Journalistin – na, ohne Buchanan ist ihre Story ein Witz. So einfach ist das. Wenn sie sich nicht an die Vereinbarung hält, streiten wir alles ab. Wir beschuldigen sie, um ihrer Karriere willen verlogene Schauergeschichten zu verbreiten und den guten Ruf der ›Washington Post‹ zu untergraben. Wir fordern sie auf, den mysteriösen Fremden herbeizuschaffen, der angeblich wer weiß wie viele Identitäten besitzt.«
»Vielleicht schafft sie das.«
»Was heißt das?«
»Sie ist schuld daran, daß Buchanan auf und davon ist. Vielleicht geht es nicht nur um Berufliches. Schließlich wollte er sie beschützen. Möglicherweise gibt es etwas Persönliches zwischen den beiden.«
Alan machte ein skeptisches Gesicht.
»Übrigens hat er auch die Fähigkeit, seine Stimme überzeugend zu verstellen«, fuhr der Colonel fort. »Sind Sie noch nicht darauf gekommen, daß dieser Mike Hamilton Buchanan sein könnte?«
4
Unter normalen Umständen wäre Holly von der verdammten Parkbank aufgestanden, auf der sie seit zwanzig nach zwei im Regen saß. Inzwischen war er schon fünfundzwanzig Minuten zu spät dran. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sie sofort gehen sollte. Zwar würde es auffallen, morgen abermals hierher zu kommen, doch weniger als wie eine Schwachsinnige im Regen zu sitzen. Als Holly endlich entschlossen aufstand, fiel ihr zu ihrer Linken ein Mann auf, ein Schwarzer mit einem Schild – »Ich arbeite für etwas Essen«. Er sprach gerade eine Frau an, die durch den Park eilte. Sie schüttelte energisch den Kopf und rannte vorbei. Der Bettler setzte seinen Weg fort. Im Regen war die Schrift auf dem Schild schon ziemlich zerlaufen.
Holly empfand Mitgefühl, als sich der Arbeitslose einem anderen Passanten näherte, diesmal einem Herrn, der sich schnell entfernte, als sei der Schwarze Luft. Das Schild begann sich aufzulösen.
Ach, verflucht, dachte Holly, so hat die Sache wenigstens für den armen Kerl etwas Gutes. Sie griff in die Kameratasche, holte einen Dollar aus der Geldbörse und gab ihn dem Mann. Sie war niedergeschlagen und hätte ihm, um ihre Stimmung zu heben, mehr gegeben, wäre ihr nicht Buchanans Warnung eingefallen, nichts Ungewöhnliches zu tun.
»Vielen Dank, Madam.« Was er dann sagte, erschreckte sie. »Mike Hamilton meint, Sie werden beobachtet.«
Ihr Puls begann zu stottern.
»Sie sollen rübergehen zur Metro, Eingang Fourteenth Street. Zum Metro Center fahren. Den östlichen Ausgang benutzen und in Richtung National Portrait Gallery gehen. Er nimmt Kontakt mit Ihnen auf.«
Er steckte den Dollar ein und schlenderte davon.
Sie wartete ein bißchen. Der Regen tropfte ihr von der Mütze. Dann
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