Der Mann mit der Ledertasche.
gelegentlich jemanden zu Gesicht, und hier waren es die Kinder, die einem zu schaffen machten. G. G. war nämlich Junggeselle. Und er hatte diese Trillerpfeife. Am Anfang seiner Route stellte er sich groß und aufrecht hin, holte die Pfeife her- aus, und es war eine große, und pfiff, daß der Speichel in alle Richtungen stiebte. Damit wußten die Kinder, daß er da war. Er hatte Süßigkeiten für die Kinder. Und sie kamen aus allen Häusern gerannt, und er gab ihnen Bonbons, wäh- rend er durch ihre Straße ging.
Der gute alte G.G.
Gleich beim ersten Mal, als ich seine Route hatte, erfuhr ich die Sache mit den Süßigkeiten. Stone gab mir nicht gerne eine so leichte Route, aber manchmal konnte er nicht anders. Ich ging also von Haus zu Haus, als ein kleiner Junge herauskam und mich fragte:
»He, wo ist mein Bonbon?«
Und ich sagte: »Was für ein Bonbon denn, Kleiner?«
Und der Kleine sagte: »Mein Bonbon! Ich will mein Bon- bon!«
»Mann, Kleiner«, sagte ich, »du mußt verrückt sein. Läßt dich deine Mutter einfach so frei herumlaufen?«
Der Junge schaute mich recht eigenartig an.
Doch eines Tages setzte sich G. G. in die Nesseln. Der gute alte G. G. Er begegnete diesem neuen kleinen Mädchen in seinem Distrikt. Und gab ihr ein Bonbon. Und sagte: »Bist du aber mal ein hübsches kleines Mädchen! Ich wollte, du wärest mein eigenes kleines Mädchen!«
Die Mutter hatte vom Fenster aus zugehört, und jetzt kam sie schreiend angerannt und beschuldigte G. G., er habe die Kleine belästigt. Sie hatte G. G. nicht gekannt, und als sie sah, wie er dem Mädchen ein Bonbon gab, und hörte, was er dazu sagte, war das einfach zuviel für sie.
Der gute alte G. G. Der Kinderbelästigung bezichtigt. Ich kam herein und hörte Stone am Telefon, wie er der Mutter auseinanderzusetzen versuchte, daß G. G. ein ehren- werter Mann sei. G. G. saß einfach vor seinem Verteiler- kasten, wie gelähmt.
Als Stone fertig war und aufgelegt hatte, sagte ich ihm: »Sie sollten der Frau nicht in den Arsch kriechen. Sie hat eine schmutzige Fantasie. Die Hälfte aller Mütter in Ame- rika, mit ihren kostbaren großen Schlitzen und ihren kost- baren kleinen Töchtern, die Hälfte aller Mütter in Amerika hat eine schmutzige Fantasie. Lassen Sie sie doch abblitzen. G. G. kriegt nicht mal seinen Pimmel steif, das wissen Sie ganz genau.«
Stone schüttelte den Kopf. »Nein, die Öffentlichkeit ist zu gefährlich. Die sind wie Dynamit!«
Das war alles, was er dazu zu sagen hatte. Ich hatte es immer wieder erlebt, wie er sich wand und krümmte und bettelte und sich mit jedem Spinner auseinandersetzte, der sich wegen irgendeiner Kleinigkeit telefonisch beschwerte...
Ich saß neben G. G. und verteilte Route 501, die nicht allzu schwierig war. Ich mußte mich zwar anstrengen, aber es war immerhin möglich, und so gab man die Hoffnung nicht von vornherein auf.
Obwohl G. G. seine Post im Schlaf hätte verteilen kön- nen, wurden seine Hände immer langsamer. Er hatte im Lauf seines Lebens einfach zu viele Briefe verteilt - sogar sein abgestumpfter Körper wehrte sich schließlich dagegen. Mehr als einmal im Laufe des Vormittags mußte ich mit ansehen, wie er mit einem Schwächeanfall kämpfte. Er hörte dann auf, schwankte, ging in einen Trancezustand, riß sich wieder zusammen und steckte wieder einige Briefe in ihre Fächer. Ich mochte den Mann nicht besonders gern. Er hatte aus seinem Leben nichts gemacht und war kaum mehr wert als ein Scheißhaufen. Aber immer wenn er umzukippen drohte, gab mir das einen Stich. Er war wie ein treuer Gaul, der einfach nicht mehr weitergehen kann. Oder ein altes Auto, das eines Morgens einfach aufgibt.
Es war eine Menge Post, und während ich G. G. zuschaute, lief es mir kalt über den Rücken. Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren lief er Gefahr, die Abfahrt des Mannschafts- wagens zu verpassen! Für einen Mann wie G. G., der so stolz auf seinen Beruf und seine Arbeit war, konnte das eine Tragödie sein. Ich hatte die Abfahrt oft verpaßt und die Säcke in meinen eigenen Wagen verladen, doch ich hatte eine etwas andere Einstellung als G. G.
Er kämpfte schon wieder gegen einen Schwächeanfall. Mein Gott, dachte ich, sieht das denn niemand außer mir? Ich blickte mich um, niemand störte sich daran. Irgend- wann hatten sie alle schon einmal behauptet, ihn zu mö- gen - »G. G. ist ein guter alter Kerl«. Aber der »gute alte Kerl« ging unter, und niemand kümmerte sich darum. Schließlich hatte ich weniger
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