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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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fettesten Lügen des Jahrhun- derts. Seit Jahren suche ich diesen Kerl, aber ich fürchte, ein anderer Gelackmeierter ist mir zuvorgekommen.
    Ich legte also wieder die Prüfung zur Aufnahme in den Staatsdienst ab. Nur daß ich diesmal auf dem Fragebogen nicht »Zusteller« ankreuzte, sondern »Innendienst«.
    Als mir der Termin für die feierliche Vereidigung mit- geteilt wurde, hatte Freddy aufgehört, »Around the World In Eighty Days«. zu pfeifen, aber inzwischen freute ich mich auf den leichten Job bei »Uncle Sam«.
    Ich sagte Freddy: »Ich hab da was Privates zu erledigen, ich werde deshalb eine Stunde oder eineinhalb Mittags- pause machen.«
    »Okay, Hank.«

    Ich hatte ja keine Ahnung, wie lange diese Mittagspause werden würde.

    9
    Wir waren ein großer Haufen da unten. 150 oder 200. Langwierige Formulare waren auszufüllen. Dann standen wir alle auf und richteten unsere Augen auf die Flagge. Der Typ, der die Vereidigung vornahm, war der gleiche, der mich schon mal vereidigt hatte.
    Nach der Zeremonie sagte der Typ zu uns:
»Na also, ihr habt jetzt einen guten Job. Seht zu, daß ihr keine krummen Sachen macht, dann habt ihr für den Rest eures Lebens ausgesorgt.«
Ausgesorgt? Das hat man im Gefängnis auch. Mietfreie Unterkunft, keine Nebenkosten, keine Steuerabgaben, keine Unterhaltszahlungen. Keine Autosteuer. Keine Strafzettel. Keine Schwierigkeiten wegen Trunkenheit am Steuer. Keine Verluste auf der Rennbahn. Kostenlose ärztliche Versor- gung. Kameradschaft mit Gleichgesinnten. Kirche. Keine Geschlechtskrankheiten. Kostenloses Begräbnis.
Von den 150 oder 200 waren später, nach fast zwölf Jah- ren, nur noch zwei übrig. So wie sich manche nicht zum Taxi- fahrer, Zuhälter, Pusher eignen, so eignen sich die meisten, und zwar Männer und Frauen, nicht zum Postler. Und ich kann das gut verstehen. Im Lauf der Jahre sah ich immer wieder Gruppen von 150 oder 200 anmarschieren, und da- von blieben dann vielleicht zwei oder drei oder vier übrig - kaum genug, um die zu ersetzen, die ausschieden.
    10
    Der Typ zeigte uns das ganze Gebäude. Unsere Gruppe war so groß, daß sie uns in kleinere Grüppchen aufteilen mußten. Wir benützten den Aufzug im Schichtbetrieb. Man zeigte uns die Kantine für die Angestellten, das Keller- geschoß, all die stumpfsinnigen Dinge.
    Gott im Himmel, dachte ich, wenn der nur schneller ma- chen würde. Seit zwei Stunden ist meine Mittagspause vor- bei.
    Dann gab uns der Führer Stempelkarten. Er zeigte uns die Stechuhren.
»Und so wird gestempelt.«
Er machte es uns vor. Dann sagte er: »Jetzt bitte alle stempeln.«
Zwölfeinhalb Stunden später, beim Weggehen, stempelten wir wieder. Es war schon eine gewaltige Vereidigungszere- monie.
    11
    Nach neun oder zehn Stunden wurden die Leute langsam schläfrig und fielen gegen die Verteilerkästen und konnten sich oft gerade noch im letzten Moment aufrappeln. Wir sortierten die Post nach Bezirken. Wenn auf einem Brief »Bezirk 28« stand, steckte man ihn in Fach 28. Es war einfach.
    Ein großer schwarzer Kerl sprang auf und fing an seine Arme auszuschütteln, um wachzubleiben. Er taumelte her- um.
    »Herr Gott noch mal! Ich halte das nicht aus!« sagte er.
    Und er war kräftig und stark wie ein Bulle. Dieselben Muskeln immer und immer wieder einzusetzen, war recht ermüdend. Mir tat alles weh. Und am Ende des Ganges stand ein Aufseher, ein zweiter Stone, und er hatte diesen Gesichtsausdruck — die müssen das vor dem Spiegel üben, alle Aufseher hatten diesen Gesichtsausdruck - sie sahen einen an, als sei man bestenfalls ein Haufen Scheiße. Doch sie waren durch die gleiche Tür hereingekommen. Sie hatten auch einmal als Verteiler oder Zusteller angefangen. Ich verstand das nicht. Es waren sorgfältig ausgewählte Schwach- köpfe.
    Man mußte ständig einen Fuß auf dem Boden haben. Auf der untersten Stufe des Stützbrettes. Das »Stützbrett« war nichts anderes als ein kleines rundes Polster auf einer Stelze. Sprechen verboten. Zwei Verschnaufpausen von jeweils zehn Minuten während der acht Stunden. Sie schrieben die genaue Zeit auf, wann man wegging und wann man wiederkam. Blieb man zwölf oder dreizehn Minuten weg, bekam man das zu hören.
    Aber die Bezahlung war besser als im Antiquariat. Und ich dachte, ich werde mich schon daran gewöhnen.
Ich gewöhnte mich nie daran.
    12
    Dann brachte uns der Aufseher in eine andere Abteilung. Zehn Stunden waren wir dort gewesen.
»Bevor Sie anfangen«, sagte er, »möchte ich Sie auf etwas

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