Der Mann mit der Ledertasche.
um mich. Ich lag darunter. Die Glüh- birnen waren glühend heiß.
»OH GOTT OH GOTT OH GOTT, GNADE! HIMMEL HILF! OH GOTT OH GOTT OH GOTT! HILFE!«
Die Glühbirnen brannten mir auf der Haut. Ich wälzte mich nach links, kam nicht raus, dann wälzte ich mich nach rechts. »Auuu!«
Schließlich kroch ich unter dem Baum heraus. Betty war aufgestanden, stand daneben.
»Was ist passiert? Was ist denn los?«
»SIEHST DU DAS DENN NICHT? DIESER VERFLUCH- TE BAUM WILL MICH UMBRINGEN!«
»Was?«
»JAWOHL! SIEH MICH DOCH AN!«
Ich hatte am ganzen Leib rote Flecken.
»Ach, du armes Baby!«
Ich ging hinüber und zog den Stecker raus. Die Lichter gingen aus. Das Ding war tot.
»Ach, mein armer Baum!«
»Dein armer Baum?«
»Ja, er war so hübsch!«
»Ich stell ihn morgen früh wieder auf. Im Augenblick trau ich ihm nicht. Er bekommt den Rest der Nacht frei.«
Das gefiel ihr gar nicht. Ich sah, daß es Streit geben würde, und so stellte ich das Ding hinter einem Stuhl wieder auf und machte die Kerzen wieder an. Hätte ihr das Ding die Titten oder den Arsch verbrannt, hätte sie es aus dem Fen- ster geworfen. Ich kam mir sehr gütig vor.
Einige Tage nach Weihnachten ging ich bei Betty vorbei. Sie saß in ihrem Zimmer, betrunken, vormittags, es war noch nicht mal neun Uhr. Sie sah nicht gut aus, aber ich eigentlich auch nicht. Es sah so aus, als habe ihr fast jeder Hausbewohner eine Flasche geschenkt. Da war Wein, Wodka, Whisky, Scotch. Die billigsten Sorten. Die Flaschen füllten das ganze Zimmer.
»Die verdammten Idioten! Wissen die denn überhaupt nichts? Wenn du das ganze Zeug hier trinkst, bist du tot!«
Betty blickte mich nur an. Ich erkannte alles in diesem Blick.
Sie hatte zwei Kinder, die sie nie besuchten, ihr nie schrie- ben. Sie war Putzfrau in einem billigen Hotel. Als ich sie kennenlernte, hatte sie teure Kleider und kleine Füße, die in teuren Schuhen steckten. Sie war ein strammes, fast schö- nes Mädchen gewesen. Mit wilden Augen. Lachend. Sie war von einem reichen Mann gekommen, hatte sich von ihm scheiden lassen, und er starb kurz danach bei einem Auto- unfall, betrunken, er verbrannte in Connecticut. »Die zähmst du nie«, sagten sie zu mir.
Und nun war sie so weit. Doch ich hatte Unterstützung gehabt.
»Hör zu«, sagte ich, »ich sollte dieses Zeug an mich neh- men. Ich meine, ich geh dir einfach von Zeit zu Zeit eine Flasche zurück. Ich trinke nichts davon.«
»Laß die Flaschen hier«, sagte Betty. Sie sah mich nicht an. Ihr Zimmer lag im obersten Geschoß, und sie saß in einem Stuhl am Fenster und beobachtete den morgend- lichen Straßenverkehr.
Ich ging zu ihr hin. »Ich bin ganz fertig. Ich muß heim. Aber laß dir um Gottes willen Zeit mit dem Zeug!«
»Sicher«, sagte sie.
Ich beugte mich vor und küßte sie zum Abschied.
Nach vielleicht eineinhalb Wochen ging ich wieder bei ihr vorbei. Auf mein Klopfen kam keine Antwort.
»Betty! Betty! Ist alles in Ordnung?«
Ich drehte den Türgriff nach rechts. Die Tür war offen. Das Bett war aufgeschlagen. Auf dem Leintuch war ein großer Blutfleck.
»O Scheiße!« sagte ich. Ich sah mich um. Alle Flaschen waren verschwunden.
Dann drehte ich mich um. Da stand eine Französin in mittleren Jahren, der das Hotel gehörte. Sie stand an der Tür.
»Sie ist im Bezirkskrankenhaus. Sie war sehr krank. Ich habe gestern abend einen Krankenwagen bestellt.«
»Hat sie all das Zeug getrunken?«
»Nicht immer allein.«
Ich rannte die Treppe hinunter und stieg in mein Auto. Dann war ich dort. Ich kannte mich im Krankenhaus gut aus. Sie gaben mir ihre Zimmernummer.
In dem winzigen Raum standen drei oder vier Betten. Eine Frau saß in ihrem Bett und kaute einen Apfel und lachte mit zwei Besucherinnen. Ich zog den Vorhang um Bettys Bett zu, setzte mich auf den Stuhl und beugte mich über sie.
»Betty! Betty!«
Ich berührte sie am Arm.
»Betty!«
Ihre Augen öffneten sich. Sie waren wieder schön. Strah- lend ruhig blau.
»Ich wußte, daß du es bist.«
Dann machte sie die Augen zu. Ihre Lippen waren aus- getrocknet. Gelber Speichel klebte am linken Mundwinkel. Ich nahm einen Lappen und wusch es ab. Ich säuberte ihr Gesicht, Hände und Hals. Ich nahm einen anderen Lappen und drückte daraus etwas Wasser auf ihre Zunge. Dann nochmals ein wenig Wasser. Ich befeuchtete ihre Lippen. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Ich hörte das Gelächter der Frauen auf der anderen Seite des Vor- hangs.
»Betty, Betty, Betty. Bitte, ich möchte, daß du etwas Was- ser trinkst, nur
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