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Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Titel: Der Mann ohne Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles L Harness
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keine einzige Assyrerstadt mehr übrig. Die Zerstörung war so vollständig, daß, als Xenophon zweihundert Jahre später seine Griechen an den Ruinen von Nineveh und Calah vorbeiführte, ihm niemand sagen konnte, wer in ihnen gewohnt hatte.“
    „Das war sicher ein totaler Knockout, Dr. Talbot“, stimmte Alar zu. „Aber welche Parallele ziehen Sie zwischen Assyrien und dem Kaiserreich Amerika?“
    „Es gibt gewisse untrügliche Anzeichen. In der Terminologie Toynbees heißen sie ‚Verfall der Selbstbestimmung’, Zerrissenheit der Gesellschaft’, Zerrissenheit der Seele’. Diese Phasen folgen natürlich alle den Zeiten ‚Unrast’ des ‚Weltstaates’ und des Weltfriedens’. Letztere zwei kennzeichnen paradoxerweise jede Kultur als dem Tode geweiht, wenn sie am mächtigsten zu sein scheint.“
    Donnan grunzte zweifelnd. „Die Vereinigte Kerntechnik stand heute morgen bei fünfhundertsechs. Wenn ihr Toynbeeisten euch einbildet, das Reich sei ins Schlittern geraten, so seid ihr die einzigen.“
    Dr. Talbot lächelte. „Wir Toynbeeisten stimmen Ihnen zu. Dennoch versuchen wir, der Öffentlichkeit unsere Meinung aus zwei Gründen nicht aufzudrängen. Erstens einmal studieren die Toynbeeisten die Geschichte nur – wir machen sie nicht. Zweitens kann niemand eine Lawine aufhalten.“
    Donnan ließ sich nicht überzeugen. „Ihr langhaarigen Burschen verliert euch immer in den Ereignissen des Altertums. Das ist aber das Hier und Jetzt – im Kaiserreich Amerika, am 6. Juni zweitausendeinhundertsiebenundsiebzig. Wir haben der Welt unseren Stempel aufgedrückt.“
    Dr. Talbot seufzte. „Ich hoffe bei Gott, daß Sie recht haben, Senator.“
    Juana-Maria warf ein, „wenn ich unterbrechen darf …“
    Die Gruppe verbeugte sich.
    „Es mag den Senator interessieren zu erfahren, daß sich die Toynbeeisten in den vergangenen acht Monaten nur einem einzigen Projekt gewidmet haben – der Überprüfung ihrer Hauptthese, daß alle Kulturen dem gleichen unausweichlichen Schema folgen. Habe ich recht, Dr. Talbot?“
    „Jawohl, Eure Majestät. Wie andere Menschen auch, möchten wir gerne recht behalten. Aber im Herzen hoffen wir ziemlich verzweifelt, daß sich unsere Ansichten als falsch erweisen. Wir klammern uns an jeden Strohhalm. Wir studieren die Vergangenheit, um herauszufinden, ob es nicht einige Fälle gab, in denen auf den Universalstaat nicht der Untergang folgte.
    Wir suchen nach Beispielen von Kulturen, die trotz geistiger Stratifikation bestehen blieben. Wir betrachten die Geschichte der Sklaverei, um herauszufinden, ob die Sklavenhaltergesellschaft je der Vergeltung entkam.
    Wir vergleichen unsere Zeit der Wirren – den Dritten Weltkrieg – mit den Punischen Kriegen, die den starken römischen Bauernstand zu Sklaven herabdrückten, und wir studieren den Bürgerkrieg unserer nordamerikanischen Vorfahren, der über der Sklavenfrage entbrannte. Wir überlegen uns weiterhin, wie lange das Spartanische Reich bestand, nachdem der Peloponnesische Krieg seine einst stolzen Soldaten in die Leibeigenschaft zwang.
    Wir suchen in der Vergangenheit nach Vergleichen für unsere gespaltene Treuepflicht – der Ahnenverehrung, die unseren Knaben und Mädchen in den kaiserlichen Schulen gelehrt wird, und dem Monotheismus, dem die Älteren anhängen. Wir wissen, welchen Schaden ein zerrissener Jenseitsglaube den Griechen zur Zeit des Perikles, dem Römischen Weltreich, der blühenden skandinavischen Gesellschaft, den Kelten Irlands und den nestorianischen Christen zufügte.
    Wir vergleichen unsere gegenwärtige politische Spaltung – Diebe gegen Regierung – mit den bitter miteinander verfeindeten, aber unrepräsentierten Minderheiten, die schließlich das Ottomanische Reich, die österreichisch-ungarische Monarchie und die spätindische Kultur ebenso wie verschiedene andere Kulturen zu Fall brachten. Aber bis jetzt haben wir keine Ausnahmen von der Regel gefunden.“
    „Sie haben die Einrichtung der Sklaverei mehrmals in einem Ton erwähnt, als untergrabe sie das Reich“, warf Donnan ein. „Wie kommen Sie zu diesem Schluß?“
    „Der Aufstieg der Sklaverei im Reich läuft ihrer Entstehung in Assyrien, Sparta, Rom und all den anderen sklavenhalterischen Reichen genau parallel“, erwiderte Talbot bedächtig. „Keine Gesellschaft kann mehrere Generationen lang Krieg führen, ohne daß ihr Bauernstand verarmt. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sowohl in den Ländern der Eroberer wie der Eroberten hat keinen

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