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Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Titel: Der Mann ohne Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles L Harness
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Ich kann Sie sogar begleiten.“
    Sie musterte ihn neugierig. Ihre rot geschminkten Lippen hatten sich gerade soweit geöffnet, daß er das Weiß ihrer Zähne sehen konnte. „Es handelt sich um einen Maskenball.“
    „Wie wär’s damit?“ Er zog sich kühl die Diebsmaske über.
    Ihre Augen weiteten sich unmerklich. „Ich nehme Ihre Einladung an.“
    Wenn ihm nicht vor einer knappen Stunde jeder Sinn für Wahrscheinlichkeit und Proportion verlorengegangen wäre, hätte er vielleicht kurz mit Worten wie phantastisch’, ‚lächerlich’ und verrückt’ herumgespielt und sich gefragt, wann ihn das Pfeifen der Kaffeekanne aufwecken würde.
    Er verbeugte sich ironisch.
    „Es ist mir ein Vergnügen.“
    Sie fuhr ganz im Ernst fort. „Sie beabsichtigen natürlich, die Festsäle bei der erstbesten Gelegenheit zu verlassen. Ich versichere Ihnen, das wäre höchst gefährlich. Es ist bekannt, daß Sie sich irgendwo in der Nähe aufhalten, und das Palastgelände wimmelt von Polizei.“
    „Na und?“
    „Spazieren Sie eine Zeitlang durch den Ball- und Empfangssaal, und dann werden wir versuchen, Ihre Bucht zu bewerkstelligen.“
    „Wir?“ fragte er mit gespieltem Argwohn.
    Sie mußte darüber lächeln und verzog den Mundwinkel gerade so viel, daß es auf ihn besonders herausfordernd wirken mußte. „Die Gesellschaft natürlich. Wer denn sonst?“ Sie blickte zu ihm hinunter und legte das Messer auf ein kleines Stelltischchen. Ihre Wimpern waren, das fiel ihm jetzt auf, wie ihr Haar lang und schwarz und betonten die ungewöhnliche Blässe ihrer Wangen. Ihm fiel auf, daß es ihn Anstrengung kostete, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Machte sie sich über ihn lustig?
    „So, so. Sie sind also die schöne Diebesspionin in den Palastmauern!“ Sein eigener Mund spiegelte ihr Lächeln.
    „Keineswegs.“ Sie war plötzlich vorsichtig geworden, und ihr Lächeln erstarb. „Werden Sie sich an meine Anweisungen halten?“
    Er hatte keine andere Wahl und nickte. „Sagen Sie mir“, meinte er, „was berichten die Nachrichtensendungen von der Angelegenheit im M-Flügel?“
    Zum ersten Mal zögerte sie. „Dr. Haven konnte entkommen.“
    Er zog die Luft ein. „Und die Mutanten?“
    „Wurden verkauft.“
    Er lehnte sich müde an die Wand, und allmählich wurde ihm bewußt, daß ihm der Schweiß in störenden Rinnsalen die Beine hinunterfloß. Die Armhöhlen waren durchnäßt, von Gesicht und Armen stach ihm ein stark riechendes Gemisch von Schweiß und Ruß in die Nase.
    „Tut mir leid, Dieb.“
    Er schaute sie an und bemerkte, daß sie es ernst meinte. „Dann ist es also vorbei“, sagte er schwer, trat zum Toilettentisch hin und blickte in den Spiegel. „Ich brauche eine Dusche und ein Enthaarungsmittel. Können Sie das für mich auftreiben? Und vergessen Sie auch einen Säbel nicht.“
    „Ich kann alles besorgen. Dort ist das Badezimmer.“
    Fünfzehn Minuten später ergriff sie seinen rechten Arm, und gemeinsam gingen sie würdig durch den Saal auf die breiten Stiegen zu, die sich mit wunderbarem Schwung zum großen Empfangssaal hinunterschlängelten. Alar zupfte nervös an seiner Maske herum und betrachtete die prächtigen Gobelins und Gemälde, mit denen die kalten Marmorwände bedeckt waren.
    Alles war von erlesenem Geschmack, aber er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich um den gediegenen Geschmack eines Raumausstatters handelte – daß die Menschen, die ihre brillanten, unsicheren Tage in diesen Räumen verbrachten, schon vor langer Zeit die Fähigkeit zur Würdigung der subtilen Lichteffekte eines Renoir oder der ungestümen Farbausbrüche eines van Gogh verloren hatten.
    „Lassen Sie Ihre Maske in Ruhe“, flüsterte seine Begleiterin. „Sie sehen passabel aus.“
    Sie gingen jetzt die Stiegen hinunter. Er konnte nicht das ganze Bild erfassen – lediglich vereinzelte Fetzen. Das war ein Leben in einem Maßstab, wie er ihn nie zu erleben erwartet hätte. Stiegengeländer aus reinem Gold. Teppiche mit einem Flor, der bis zu den Knöcheln zu reichen schien. Feinst gearbeitete Geländersäulen aus Carrara-Marmor. Überall strahlendes Alabasterlicht. Der Anblick des Empfangssaales, der zu ihnen heraufblitzte. An die tausend unbekannte Männer und Frauen.
    Es war alles höchst merkwürdig, aber er hatte das Gefühl, daß er das schon immer gekannt hatte, daß er hierher gehörte.
    Und plötzlich befanden sie sich am Fuß der Stiegen, und der Empfangschef verbeugte sich tief und begrüßte

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