Der Mann ohne Vergangenheit
das vorstellen? – ist aus einer starken Polizeifalle entkommen, und seine Spuren führen geradewegs hierher in den Palast.
General Thurmond bringt die Sache auf seine ruhige Art zum Sieden, und er hat gewaltige Sicherheitskräfte um das Gebiet zusammengezogen und läßt den ganzen Palast durchkämmen. Ist das nicht aufregend?“ Ihre Stimme klang trocken und spöttisch.
„Ich bin froh, das zu hören“, bemerkte Donnan mit ehrlicher Überzeugung. „Diese Gauner haben erst letzte Woche meinen persönlichen Safe ausgeraubt. Ich mußte vierzig Menschen freilassen, um meinen Besitz zurückzubekommen. Es ist höchste Zeit, daß die Rädelsführer gefaßt werden.“
Alar schluckte unbehaglich hinter seiner Maske und sah sich verstohlen um. Von Thurmond war noch keine Spur zu erblicken, aber mehrere Männer, die sein geübtes Auge als kaiserliche Polizei in Zivil ausmachte, mischten sich langsam und aufmerksam unter die Versammlung. Einer von ihnen betrachtete ihn ruhig aus ein paar Metern Entfernung. Schließlich ging er weiter.
„Warum unternehmen Sie nichts gegen die Diebe, Eure Majestät?“ forderte Donnan. „Sie richten Euer Reich zugrunde.“
Juana-Maria lächelte. „Wirklich? Was liegt daran, wenn sie es tun? – Was ich übrigens bezweifle! Warum sollte ich etwas dagegen unternehmen? Ich tue, was mir Spaß macht. Mein Vater war Politiker und Soldat. Es sagte ihm zu, die beiden Amerika während des Dritten Weltkrieges zu einem Reich zusammenzuschließen. Wenn unsere Zivilisation noch ein paar hundert weitere Jahre überlebt, wird er sicher seinen Platz in der Geschichte als großer Staatsmann einnehmen.
Ich jedoch gebe mich mit dem Beobachten und Verstehen zufrieden. Ich bin nichts weiter als ein Student der Geschichte – ein Amateur-Toynbeeist. Ich sehe zu, wie mein Reichsschiff strandet. Wäre ich mein Vater, würde ich die Segel flicken, die Taue ausbessern und in klarere Gewässer hinaussteuern. Da ich jedoch nur ich bin, muß ich mich mit dem Zusehen und dem Abgeben von Voraussagen begnügen.“
„Sagen Sie den Untergang voraus, Eure Majestät?“ fragte Shimatsu mit zusammengekniffenen Augen.
„Untergang von was?“ fragte Juana-Maria. „Die Seele ist unvergänglich, und das ist alles, was für eine alte Frau zählt. Und ob mein Kanzler alles übrige zerstören will …“ Sie zuckte mit den zarten Schultern.
Shimatsu verbeugte sich und murmelte dann: „Falls Eure neue supergeheime Bombe so gut ist, wie unsere Agenten behaupten, haben wir keine Verteidigung dagegen. Und wenn wir keine Abwehr haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als dem Angriff des Haze-Gaunt mit unserem eigenen zuvorzukommen, solange wir dazu noch imstande sind. Und wir haben zwei Vorteile gegenüber dem Imperium.
Sie alle sind sich so sicher, daß Sie uns kräftemäßig haushoch überlegen sind, daß Sie sich nie die Mühe gemacht haben, einen Gedanken an die Waffen zu verschwenden, die gegen Sie eingesetzt werden mögen. Sie nehmen ferner an, daß wir höflich abwarten, bis Ihnen der Zeitpunkt genehm ist. Darf ich die Andeutung wagen, Eure Majestät und meine Herren, daß das Kaiserreich nicht von dem berühmten ‚Wolfsrudel’, sondern von leichtgläubigen Kindern geführt wird?“
Donnan lachte schallend. „Das trifft den Kern!“ rief er. „Leichtgläubige Kinder!“
Shimatsu griff nach dem Bärenmantel, den er über dem Arm getragen hatte und warf ihn sich mit einer Gebärde der Endgültigkeit um die Schultern. „Jetzt lachen Sie. Bereiten Sie sich aber auf einen Schock vor, wenn die Stunde des Losschlagens näherrückt.“ Er verbeugte sich tief und ging.
Alar wußte, daß der Mann eine tödliche Warnung ausgesprochen hatte.
„Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall?“ bemerkte Juana-Maria. „Erst vor ein paar Minuten hat Dr. Talbot zu mir gesagt, daß sich das Reich gegenwärtig an demselben Punkt befindet wie das Reich der Assyrer im Jahre sechshundertvierzehn vor Christus. Vielleicht weiß Shimatsu, wovon er spricht.“
„Was geschah im Jahre 614 vor Christus, Dr. Talbot?“ fragte Alar.
„Die herrschende Kultur der Welt wurde in Stücke geblasen“, erwiderte der Toynbeeist und strich sich gedankenschwer über den Spitzbart. „Das ist eine tolle Geschichte. Zweitausend Jahre lang hatten die Assyrer darum gekämpft, die Welt nach Gutdünken zu regieren. Um sechshundertvierzehn beherrschte das Ethos der Assyrer ein Gebiet, das sich von Jerusalem bis Lydien erstreckte. Vier Jahre später blieb
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