Der Mann ohne Vergangenheit
als sei die Zeit aufgehoben. Sein Herz, bemerkte er, hatte einen ständigen Pulsschlag von 170 erreicht. Innerhalb von ein bis zwei Sekunden würde ihn Thurmonds Klinge an den dicken Tapeten festnageln, und er würde sich wie ein Käfer winden. Das war kein Tod für einen Dieb.
„Madame, messieurs!“ Er verbeugte sich in höchster Dankbarkeit. Keiris war mit dem Kanzler und Botschafter Shimatsu am Arm um die Säule gebogen. Thurmonds Klinge, die nur noch einen Zoll von seinem Herzen entfernt war, schwankte.
„Madame“, fuhr der Dieb gewandt fort, „voulez-vous expliquer à cet homme mon identité?“
Keiris’ Augen waren weit aufgerissen, etwas Namenloses zeigte sich in ihnen. Der Augenblick, den sie jahrelang gefürchtet hatte, war endlich gekommen. Wenn sie dem Dieb das Leben rettete, mußte ihr Doppelleben bald entdeckt werden. Was würde dann mit ihr geschehen? Würde Haze-Gaunt sie an Shey verkaufen?
Sie sagte ruhig: „Sie haben einen schweren Fehler begangen, General Thurmond. Darf ich Ihnen Dr. Hallmarck von der Universität Charkow vorstellen?“
Alar verbeugte sich. Thurmond steckte langsam die Waffe weg. Es war offenkundig, daß er nicht recht überzeugt war.
Auch Shimatsu musterte Alar zweifelnd. Er wollte sprechen, zögerte, sagte aber schließlich nichts.
Haze-Gaunt richtete seine harten Augen auf den Dieb. „Wir fühlen uns geehrt, Sir. Aus Gründen der Höflichkeit wäre es aber gut …“
„Comment, monsieur?“ Alar zuckte die Achseln. „Je ne parle pas l’anglais. Veuillez, madame, voulez-vous traduiere?“
Die Frau lachte gekünstelt und wandte sich an den Kanzler. „Der Arme weiß nicht, worum es geht. Er hat diesen Tanz mit mir reserviert. Ich nehme ihm die Maske ab. Und Sie sollten wirklich besser aufpassen, General Thurmond.“
Sie sprach ihn an, bevor sie noch fort waren. „Ich bezweifle, daß Sie jetzt fliehen können“, sagte sie eilig. „Ihre beste Chance liegt darin, sich genauso zu verhalten, wie ich es ihnen sage. Nehmen Sie sofort die Maske ab.“
Er folgte ihr und steckte sie in die Jackentasche. Sie hatte ihn sorgfältig so geführt, daß er von der Gruppe des Kanzlers wegschaute.
Sein Arm war jetzt um sie gelegt, und sie glitten in langsamer Drehung durch den Raum. Sie so nahe bei sich zu haben, ihren Körper in ständiger Berührung mit dem seinen, erweckte wieder diese quälende Erinnerung vom Balkon – nur war sie jetzt doppelt und vierfach so heftig.
Er war nicht viel größer als sie, und einmal versank seine Nase im schwarzen Haar an ihrer Schläfe. Selbst der Duft war quälend vertraut. Hatte er diese Frau zu irgendeiner Zeit seiner Phantomvergangenheit gekannt? Wahrscheinlich nicht. Sie hatte kein Anzeichen des Wiedererkennens von sich gegeben.
„Was immer Sie vorhaben“, drängte er nervös, „tun Sie es rasch. Als wir weggingen, teilte Shimatsu Haze-Gaunt gerade mit, daß ich Englisch gesprochen habe. Mehr braucht Thurmond nicht.“
Sie hatten jetzt die drängende Menge hinter sich gelassen und befanden sich in der schattigen Reihe der Springbrunnen.
„Ich kann nicht mehr weitergehen, Alar“, sagte die Frau rasch. „Am Ende dieses Ganges befindet sich ein Müllabwurfschacht. In ihm können Sie in eine der Verbrennungskammern in den Tiefen des Palastes rutschen. Die Brennkammern können jeden Augenblick eingeschaltet werden, aber dieses Risiko müssen Sie eingehen. In einem großen Gewölbe neben den Brennern treffen Sie Freunde. Fürchten Sie sich?“
„Ein wenig. Aber wer sind diese ‚Freunde’?“
„Diebe. Sie bauen ein seltsames Raumschiff.“
„Die T-zweiundzwanzig ? Das ist doch ein kaiserliches Projekt. Und es wird stärker bewacht als ein Goldschatz. Der Staatssekretär für den Weltraum, Gaines, hat persönlich die Leitung.“
„Zwei kaiserliche Polizisten kommen den Saal herauf,“ erwiderte sie schnell. „Sie sind sich jetzt sicher über Sie. Sie müssen fliehen.“
„Noch nicht. Sie bilden sich ein, ich sei umstellt, und werden auf Verstärkungen warten. Was ist inzwischen mit Ihnen? Haze-Gaunt wird darüber sicher gar nicht erfreut sein.“ Seine Hände lagen auf ihren Schultern. Einen Augenblick lang blickten sie einander schweigend an, verbunden durch ihre ungewisse und besorgniserregend gefahrenreiche Zukunft.
„Ich fürchte mich nicht vor ihm . Ich fürchte mich vor Shey, dem Psychologen. Er versteht es, Menschen so zu martern, daß sie ihm alles ausplaudern, was er wissen will. Manchmal habe ich den
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