Der Mann ohne Vergangenheit
Apartment Mikrophone verborgen seien. Ich nahm an, daß jedes Wort, das zwischen Alar und mir gewechselt wurde, von den Posten gehört und daß man Alar noch in diesem Zimmer fassen würde.“
„Infolge eines bemerkenswerten Zufalls“, murmelte Thurmond, „hat das Messer den Draht durchtrennt.“
Der Wasser-Alkohol-Spray traf sie scharf auf den Wangen. Sie rieb sich eifrig mit einem flauschigen Handtuch das Gesicht ab und stellte sich dann mit ihrer dünnen Oberfläche von Haltung, die jede Minute dünner wurde, wieder den dreien.
Shey lächelte noch immer. Einmal schien er beinahe zu glucksen.
„In dieser Angelegenheit glaube ich dir im Zweifelsfall“, sagte Haze-Gaunt kalt. Er löste die Finger vom Rücken und verschränkte die Arme auf der Brust, als er auf sie zuschlenderte. „Und ich will vorläufig sogar annehmen, daß der nächste Teil deiner Geschichte wahr ist – du glaubtest, wir wüßten die ganze Zeit über, daß der Dieb auf dem Ball Alar war, und warteten nur den richtigen Augenblick ab, um ihn zu fassen. Wir lassen das angehen.
Wie du vielleicht weißt, wurde Alar nach seiner Verhaftung Shey zur Befragung übergeben und wußte irgendwie, daß du vor einer Stunde nicht auf dem Palastgelände warst, gerade als Shey seine Experimente beginnen wollte. Alar kam frei, indem er Shey erzählte, du würdest von den Dieben als Geisel festgehalten. Du mußt ihm erzählt haben, daß du in jenem Augenblick abwesend sein würdest und daß er dieses Wissen verwenden könne, um seine Freilassung zu erwirken. Willst du das leugnen?“
Keiris zögerte und blickte zum erstenmal Shey an. Der Schmerz-Enthusiast beäugte sie in verzückter Vorfreude. Sie wußte, daß ihr Gesicht sehr bleich sein mußte. Nahezu ein Jahrzehnt lang hatte sie sich eingebildet, sie könne dem Tod ruhig entgegensehen. Jetzt aber, da sich die Möglichkeit des Todes vor ihren eigenen Augen kristallisierte, war es entsetzlich.
Was hatte der Tod an sich, das sie fürchtete? Nicht den Tod selbst. Nur die Stunde des Sterbens – die Stunde, die Shey ins Unendliche zu verlängern verstand. Und sie würde reden. Sie wußte, daß Shey sie zum Reden bringen würde. Sie würde ihm vom Mikrofilmgehirn erzählen, und Kims Dieben ginge eine mächtige Waffe verloren. Irgendwo, irgendwie mochte Kim noch am Leben sein. Was würde er sich denken, wenn er von ihrem Verrat erführe? Und wie hatte übrigens Alar erfahren, daß sie während seiner kurzen Gefangenschaft in Sheys Kammern am Treffpunkt der Diebe auf ihn gewartet hatte? Es gab zu viele Fragen und keine Antworten.
Sie fragte sich nur, wieviel Schmerz sie ertragen konnte, bevor sie zu reden anfing.
„Ich leugne nichts“, sagte sie schließlich. „Wenn ihr glauben wollt, daß ich dem Dieb die Mittel zur Flucht geliefert habe, kann ich euch nicht daran hindern. Erwartest du in Anbetracht meiner Herkunft eiserne Treue zu dir, Bern?“ Sie beobachtete sein Gesicht genau.
Haze-Gaunt schwieg. Thurmond trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und blickte auf das Armbandradio.
„Haze-Gaunt“, zirpte er, „ist dir klar, daß wir uns von dieser Frau bei der Operation Finis aufhalten lassen? Jede Sekunde ist entscheidend, wenn die Überraschung glücken soll, aber wir können nichts unternehmen, solange wir Alar nicht eingeordnet haben. Ich schlage vor, sie auf der Stelle Shey zu übergeben. Ihre Handlungsweise verrät eine mehr als nur allgemeine Sympathie für eine subversive Organisation, von der sie glaubt, daß sie mit ihrem toten Mann zu tun hat.
Zwischen ihr und Alar gab es eine besondere Beziehung. Wir müssen ihr dieses Wissen entreißen. Und was ist mit diesem unaufhörlichen Durchsickern höchster Geheimnisse zu den Dieben? Du hast dich immer in dem Glauben gewiegt, du würdest jede ihrer Bewegungen, jedes Wort, das sie sagt, kennen. Wo“, schloß er gespannt, „hat sie in der letzten Stunde gesteckt?“
„Ich war bei Alar.“ Es kam ihr kaum glaublich vor, daß ihre Stimme so ruhig war. Aber sie hatte die Wirkung dieser Worte auf Haze-Gaunt richtig eingeschätzt. Kaum das kleinste Aufflackern von Schmerz glitt über seinen ewig unbeweglichen Mund.
Shey kicherte und sagte zum ersten Mal etwas. „Eure Antworten sind so klar, daß sie etwas völlig verdecken – aber was? Ihr deutet mit ausholenden Gebärden auf eine weit offene Autobahn, wir aber suchen den verborgenen Pfad.
Warum sind Sie allzu eifrig bemüht, so zu tun, als sei Ihr Antrieb die ganze Zeit über eine
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