Der Mann ohne Vergangenheit
sehr ein Teil von ihr wie die Kleider, die sie trug. War sie Kim untreu? Das hing davon ab, wie sie es auffaßte.
Als sie vor der Tür stand, die ins Badezimmer führte, errötete sie wider Willen.
Sie zuckte die Achseln. Jetzt war nicht die Zeit für die Analyse persönlicher Gefühle. Haze-Gaunt würde sie im Schlafzimmer erwarten und sich fragen, wo sie gewesen war. Dem Himmel sei Dank für seine phantastische Eifersucht. Er würde ihr sowieso nur die Hälfte glauben, aber seine Eifersucht gab ihr eine merkwürdige Art von Sicherheit – einen Status quo, der unfehlbar durch seine Unsicherheit bestimmt wurde.
Sie seufzte und ließ die Tür zurückgleiten.
Zumindest würde sie Zeit haben, sich zu duschen und von ihren Zofen mit Rosenblättern einreiben zu lassen. Das würde ihr Zeit geben, sich Antworten auf die Fragen auszudenken, die ihr Haze-Gaunt unweigerlich stellen würde. Und dann würde sie sich in das tiefausgeschnittene Kleid zwängen …
„War es angenehm draußen?“ fragte Haze-Gaunt. Sie hätte geschrien, wäre ihr die Zunge nicht am Gaumen festgeklebt. Sie gab aber kein äußeres Zeichen der Erschütterung von sich. Sie tat einen tiefen Lungenzug, und es war vorbei.
Äußerlich ruhig, schaute sie auf die drei Eindringlinge. Haze-Gaunt starrte sie mit düsterer Ungewißheit an, die Beine ausgestreckt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Shey strahlte vor Vorfreude. Die tiefen Furchen in General Thurmonds Gesicht verrieten im großen und ganzen keinerlei Bewegung. Nur die Parenthesen, die den winzigen Beistrich von einem Mund umschlossen, waren vielleicht ein wenig härter, ein wenig grausamer.
Das Herz der Frau schlug schneller. Zum ersten Mal, seit Haze-Gaunt sie in seine Räume aufgenommen hatte, spürte sie das Aufsteigen körperlicher Furcht. Ihr Verstand wollte einfach nicht wahrhaben, was es zu bedeuten hatte, daß sich Haze-Gaunt in Begleitung der beiden erbarmungslosesten Ungeheuer des Reiches befand.
Als Haze-Gaunt die Frage von den Lippen kam, hatte sie sich schon eine Verteidigung zurechtgelegt, die am wahrscheinlichsten war. Verzerrt lächelnd, schloß sie hinter sich die Tür. „Jawohl, es war angenehm draußen, Bern. Ich gehe immer hinaus, wenn ich nur kann. Sklaven zeigen eben die Laster von Sklaven, nicht wahr?“
„Darauf kommen wir noch zurück“, erwiderte der Kanzler grimmig. „Die Hauptfrage ist: Was weißt du von Alar? Wie habt ihr euch getroffen? Warum hast du ihm erlaubt, dich auf den Ball zu begleiten, anstatt ihn den Palastwachen zu übergeben?“
„Bern“, sagte sie, „ist mein Badezimmer der richtige Ort für ein Kreuzverhör? Und es ist wirklich ziemlich spät. Verschieben wir es auf morgen.“
Sie hätte sich die Zunge abbeißen können. Diese Ausrede klang einfach falsch. Sie spürte förmlich, wie der kleine Psychologe jedes ihrer Worte vorausahnte – beinahe ganz genau wußte, was sie als nächstes sagen würde. Vielleicht hatte der teuflische Kleine Haze-Gaunt sogar im voraus gewarnt, was sie wohl vorbringen würde, wenn sie vor ihnen etwas zu verbergen hatte.
„Na gut“, meinte sie müde und ging von der Wand weg. „Ich will dir sagen, was ich weiß, obwohl ich nicht einsehe, warum es so wichtig ist. Alar ist an diesem Abend auf meinen Balkon geklettert. Ich warf mit dem Messer nach ihm, aber ich traf ihn nicht sehr gut. Ich verfehlte ihn, und im nächsten Augenblick hatte er mich beim Handgelenk.
Er drohte mir, er würde mich töten, wenn ich ihn nicht in den Ballsaal führte. Was konnte ich tun? Meine Zofen waren schon weg. Es ist wirklich deine Schuld, Bern, daß du mir nicht einmal ein Minimum an Schutz zur Verfügung stellst.“
Sie wußte, daß das nicht überzeugend klang, aber zumindest würde es sie ein paar Augenblicke kosten, ihre Ausrede zu zerpflücken. Inzwischen würde sie nachdenken. Sie ging unbewegt zum Waschbecken, so als hätte sie einen Schlußstrich unter das Gespräch gezogen, und besah sich ein paar Sekunden lang ihr Gesicht im Spiegel. Als Haze-Gaunt wieder sprach, besprühte sie ihr Gesicht mit einer parfümierten Emulsion aus Wasser und Palmöl.
„Dein Freund scheint sich hier geduscht und ein paar meiner Sachen ausgeborgt zu haben – von dem italienischen Säbel ganz zu schweigen. Warst du die ganze Zeit gefesselt und geknebelt?“
Keiris hörte auf, sich das eingeölte Gesicht zu reiben, und griff träge nach dem Sprühknopf für das Wasser-Alkohol-Gemisch. „Ich war immer im Glauben, daß in meinem
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