Der Mann ohne Vergangenheit
sagte der Offizier grimmig, als er Alars schnelle Musterung der Waffe bemerkte. „Sie trifft nur auf fünfzig Meter genau, aber ihre Giftpfeile töten rascher als Kugeln. Vierzehn dieser Waffen sind in diesem Augenblick aus Gucklöchern auf Sie gerichtet.“ Er näherte sich vorsichtig den beiden.
Das eisige Äußere des Gesichts des Diebes verbarg einen verzweifelt rasenden Geist. Beide Augen waren auf den Lautsprecher des Radioempfängers auf der rechten Schulter des Postens gerichtet, unmittelbar unter dem Ohr. Dieser Apparat diente der Verbindung des gesamten Wachpersonals mit der zentralen Polizeiwachstube. Alars Augen wurden rund und fiebrig, aber nichts geschah.
Er wußte, daß er fähig war, Lichtwellen im Infrarotbereich mit einer Wellenlänge von mindestens einem halben Millimeter auszustrahlen. Das UKW-Funkband war gewiß nicht länger als einen Meter. Dennoch strahlten seine Augen das elektromagnetische Spektrum von einem Angström bis zu mehreren Metern aus, ohne daß der Lautsprecher auch nur quietschte.
Etwas war schiefgegangen. Er merkte, wie Kerns1 Körper an seiner Seite zitterte.
In ein paar Augenblicken würde der kaiserliche Polizist herangekommen sein, um ihm von hinten Handschellen anzulegen, und er würde den lebensnotwendigen visuellen Kontakt mit der Rezeptorscheibe verlieren.
Plötzlich pfiff es aus dem Lautsprecher. Der Offizier hielt unsicher an. Ein Schweißtropfen lief Alar die Wange hinunter und blieb an den Bartstoppeln des Kinns hängen.
„A. M.“ sagte Keiris ruhig.
Natürlich! Die Amplitudenmodulation, von der man seit den Anfangstagen des Radios nichts mehr gehört hatte, ließ sich hier, wo es nahezu keine Statik gab, ungehindert verwenden.
„Anweisungen für Steig elf,“ ertönte es aus dem Empfängergitter. „Es ist beschlossen worden, der Alar-Gruppe das ‚Entkommen’ in ihrem Schiff zu erlauben. Es sind keine weiteren Versuche mehr zu unternehmen, Mitglieder der Gruppe zu töten oder zu verhaften. Ende.“
Obwohl sie durch das verbindende Nervennetz, das Larynx, Sehlappen und Retina integrierte, modifiziert war und obwohl sie durch die Unscharfe des einzölligen Lautsprecherkegels auf der Schulter des Offiziers weiter verzerrt wurde, schien es Alar, daß der andere unweigerlich die Stimme des Mannes erkennen mußte, den er gerade fesseln wollte.
„Ihr habt die Zentrale gehört“, sagte der Offizier rauh. „Los. Nehmt dieses Zeug mit; ich werde das übrige hinterhersenden.“ Sein Gesicht war zu einem harten Lächeln verzogen. Es war offenkundig, daß er erwartete, die großen Mondkanonen würden sofort nach dem Start das Feuer auf das winzige Fahrzeug eröffnen.
Der Dieb kniete wortlos nieder und nahm Havens Körper sanft auf den Arm. Der Körper des alten Mannes schien merkwürdig zusammengeschrumpft und klein zu sein. Erst jetzt erkannte Alar, was die bloße Tatsache des Lebendigseins zu Fleisch und Knochen hinzufügte.
Keiris ging voran und öffnete ihnen die Türen. Das kleine Raumschiff stand unmittelbar vor ihnen. Daneben lag ein großer Frachter, die Phobos. Jemand stand auf der Landeplattform und rief in das zur Sonne abgehende Raumschiff. „Bis jetzt kein Wort. Wir geben ihm drei Minuten.“
Alars Herz ließ einen Schlag aus. Langsam kletterte er die Rampe zum Fahrzeug der Diebe hinauf. Beim Einsteigen mußte er sich bücken.
Seine leblose Last legte er auf eine der hinteren Kojen.
Ein keuchender Wachtposten schleppte Gaines hinter sich nach, ließ den Körper auf dem Kabinenboden liegen und entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen.
Alar blickte nachdenklich auf, und nach ein paar Sekunden erkannte er, daß er in Keiris’ ernste Augen blickte.
„Meine Hypothese war falsch“, gab er zu.
„Du meinst, was die zwei – oder waren es drei – intergalaktischen Raumschiffe betrifft?“
„Ja. Ich habe behauptet, daß eines vor fünf Jahren die Erde verließ, das Universum umrundete und in ein paar Tagen zurückkehren wird – am 21. Juli.“
Sie wartete ab.
„Es kann nicht zurückkehren“, sagte Alar und schien noch immer durch sie hindurchzusehen, „denn es ist noch nicht abgeflogen.“
In der Kabine wurde es ganz still.
„Die Fortbewegung mit Oberlichtgeschwindigkeit“, fuhr der Dieb fort, „ scheint zu erfordern, daß die Einsteinsche Gleichung für die Äquivalenz von Masse und Energie außer Kraft gesetzt wird. Dieser Widerspruch ist jedoch nur scheinbar. Die Masse eines Newtonschen Körpers kann auf folgende Weise mittels
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