Der Mann ohne Vergangenheit
ausmachen.“ Er deutete auf eine kreisrunde Leuchtscheibe am Instrumentenpult. „Das dort liefert uns laufend das Bild der Sonnenoberfläche in bezug auf die H-Linie von Kalzium 2, das heißt ionisiertes Kalzium.
Es zeigt den Standort der Sonnenprotuberanzen und Sonnenfackeln an, denn diese enthalten eine Menge Kalzium. Hier auf dem Schirm sehen Sie keine Protuberanzen – sie sind nur sichtbar, wenn sie sich am Rand der Sonnenscheibe befinden und in den schwarzen Weltraum hinausschießen. Hier gibt es aber viele Sonnenfackeln, diese kleinen Gaswölkchen, die über der Photosphäre schweben – man findet sie fast bis zum Mittelpunkt der Sonnenscheibe. Heiß, aber harmlos.“
Er klopfte mit dem Weltraumnavigationsbesteck auf das Glas. „Und der Ort wimmelt von Granulen –‚solare Donnerköpfe’ wäre eine bessere Bezeichnung. Sie brodeln innerhalb von fünf Minuten mehrere Hundert Meilen hoch und verschwinden dann. Falls eines von ihnen je die Phobos erwischt …“
„Ich hatte einen Vetter, Robert Talbot, der mit einem der frühen Sonnenfrachter verschollen ist“, sagte Alar mit ganz normaler Stimme.
„Man war immer der Meinung, ein Sonnensturm hätte das Schiff erwischt.“
„Sehr wahrscheinlich. Wir haben eine Menge Schiffe verloren, ehe wir den richtigen Anflug herausfanden. Ihr Vetter, sagten Sie? Möglicherweise erinnerten Sie mich an ihn, obwohl ich nicht behaupten könnte, daß mir der Name etwas sagt.“
„Es war vor einigen Jahren“, sagte Alar und beobachtete Andrews aus den Augenwinkeln, „als Kennicot Muir noch die Oberleitung über die Stationen hatte.“
„Hmm. Erinnere mich nicht an ihn.“ Kapitän Andrews kehrte gleichgültig zum Schirm zurück.
„Sie wissen vielleicht, daß die Stationen am Rande eines Sonnenfleckens arbeiten, an der Stelle, die wir die Penumbra nennen. Diese Vorgangsweise bietet mehrere Vorteile.
Dort ist es ein bißchen kühler als in der übrigen Chromosphäre, was geringere Anforderungen an das Kühlsystem und an die Besatzung des Solarions stellt, und die Stelle liefert für anfliegende Frachter auch eine Orientierungshilfe. Es ist beinahe völlig unmöglich, eine Station zu finden, es sei denn, sie befindet sich auf einem Sonnenflecken. Es ist schwer genug, eine auf der Isotherme zu entdecken.“
„Isotherme?“
„Ja – ähnlich der Dreißig-Faden-Linie an der Meeresküste. Nur haben wir es hier mit der Fünftausenderlinie zu tun. In ein paar Minuten, kurz vor der Landung, schalte ich die Düsen auf automatische spektrographische Steuerung um, und die Phobos wird sich dann an der 5000-Grad-Kelvin-Isotherme entlangtasten, bis sie das Solarion 9 entdeckt.“
„Ich verstehe. Wenn eine Station je die Lateraldüsen verlöre und nicht auf der Fünftausenderlinie bliebe, wie würden Sie sie dann finden?“
„Ich würde sie nicht finden“, erwiderte Kapitän Andrews nach einer Weile. „Wann immer eine Station vermißt wird, senden wir alle verfügbaren Suchboote aus – ein paar hundert davon – und suchen monatelang das Gebiet um diesen Sonnenflecken systematisch ab. Aber ehe wir noch beginnen, wissen wir schon, daß wir nichts finden werden. Wir haben noch nie etwas gefunden.
Es ist vergeblich, auf der Oberfläche nach einer Station Ausschau zu halten, die schon längst tief unten im Wirbel eines Sonnenfleckens verdampft ist.
Die Stationen haben natürlich eine automatische spektrographische Kontrolle, und der Spektrograph soll sie auf der Fünftausenderlinie halten, aber manchmal versagt der Spektrograph, oder ein ungewöhnlich heißer Wilson-Gasschwall schwappt über den Rand des Fleckens und täuscht den Spektrographen, der zu dem Trugschluß kommt, die Station befinde sich weit vom Fleck entfernt, etwa auf der heißeren 5400er-Linie.
Daher bewegt die automatische Spektralkontrolle die Station weiter auf den Sonnenflecken zu, vielleicht hinein in die glitschige Evershed-Zone an seiner Lippe. Von dort kann die Station weiter in die Umbra hineingleiten. Ich kenne ein Schiff, das wieder aus der Evershed-Zone gekrochen kam. Die Besatzung mußte vollständig ersetzt werden. Aber kein Solarion hat je wieder die Umbra verlassen. Daher kann man sich auf die spektrographische Steuerung nicht völlig verlassen.
Auf jeder Station befinden sich auch drei Solarmeteorologen, und das Wetterpersonal gibt alle fünfzehn Minuten ein Bulletin über die wahrscheinlichste Lage der Station und die Störungen, die sich ihrer Bahn nähern, heraus. Manchmal muß
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