Der Mann ohne Vergangenheit
Es hatte sich nicht vermeiden lassen. Wenn es ihm jetzt gelang, Thurmond sehr schnell zu verwunden oder zu entwaffnen, konnte er noch immer die Phobos herbeirufen und unter dem Schutz von Kapitän Andrews entkommen, bevor er an Blutverlust starb.
Sein erfahrener Widersacher würde natürlich Zeit herausschinden, ihn genau beobachten und nach dem ersten Anzeichen echter Ermattung Ausschau halten, das bloß aus einem Abgleiten des Daumens am Griff, einem Ausfall, der um einen Zentimeterbruchteil zu spät pariert wurde, oder einer leichten Verkrampfung der Finger der gekrümmten linken Hand bestehen mochte.
Thurmond würde es bemerken. Vielleicht war das jener aufklärende Tod, den jene geheimnisvolle Sphinx, das Mikrofilmgehirn, für ihn vorausgesagt hatte.
Thurmond wartete: lächelnd, aufmerksam, von höchster Selbstsicherheit. Er erwartete sicher, daß Alar in höchster Nervosität Ausfälle machen würde, um das Maximum aus jenen paar Minuten herauszuholen, in denen er noch zu kraftvollem, zielbewußtem Fechten fähig war, ehe er vom Blutverlust ohnmächtig wurde.
Der Dieb ging an den Mann, und sein Schwert wirbelte wie ein Pfeil in einer unglaublich komplexen Körpertäuschung durch die Luft. Sein Scheinausfall wurde jedoch durch eine zu nichts verpflichtende Scheinabwehr pariert, die in ihrer Ambiguität beinahe philosophisch wirkte. Die prononcierte Unbestimmtheit der Aussage zeigte, daß Thurmond seine höchste Maxime bis zum Äußersten in die Tat umsetzte – daß eine perfekte Verteidigung ohne das geringste Risiko zum Sieg führen mußte. Er wollte sich selbst bestätigen, daß Thurmond seinen Vorteil erkannte. Das war ganz offensichtlich der Fall. Zugleich mit dieser Erkenntnis zog sich der Dieb, anstatt den Angriff improvisiert fortzusetzen, wie es Thurmond erwarten mußte, jäh zurück, hustete und spuckte einen Mund voll salziger Flüssigkeit aus.
Seine rechte Lunge hatte sich langsam gefüllt. Die einzige Frage war: Wann sollte er husten, um das Blut loszuwerden? Er hatte diesen Augenblick gewählt. Sein Widersacher mußte die Initiative ergreifen, und er mußte dazu verlockt werden, leichtsinnig zu werden.
Thurmond lachte lautlos und ging mit einem trickreichen Fußstoß an den Mann, dem er unmittelbar darauf einen Hieb übers Gesicht folgen ließ, die der Dieb beide mit knapper Not parierte. Es war jedoch klar, daß Thurmond nicht voll aus sich herausging.
Er konnte sein Ziel zu gegebener Zeit einfach durch Nichtstun erreichen oder, wenn er es vorzog, rasch, indem er dem Dieb ständig zusetzte. Thurmond brauchte lediglich am Leben zu bleiben, während Alar nicht nur am Leben bleiben, sondern gleichzeitig auch den Gegner kampfunfähig machen mußte. Mehr durfte er nicht anstreben. Sein Eid als Dieb verbot ihm das Töten eines Offiziers des Reiches.
Ohne Verzweiflung zu empfinden, verspürte er die Symptome von Verzweiflung – das Würgen in der Kehle, das unmerkliche Zittern der Gesichtsnerven, eine überwältigende Müdigkeit.
„‚Um in einer aus bekannten Faktoren bestehenden Situation Ergreifung oder Tod zu verhindern’“, spottete Thurmond, „‚führt der Dieb eine oder mehrere neue Variablen ein, im allgemeinen durch die Umwandlung eines Faktors relativer Sicherheit in einen Faktor relativer Unsicherheit’.“
In diesem Augenblick durchschaute Alar diese außerordentliche Erscheinung, die die Sicherheitsstreitkräfte einer Hemisphäre kommandierte, bis in die letzten Tiefen. Es handelte sich um eine heiß brennende, berechnende Intelligenz, die die Widersacher zerschmetterte, weil sie die Widersacher besser verstand, als sie sich selbst verstanden, ihre Züge schweigend vorwegnehmen konnte und – zu ihrem kurzlebigem Erstaunen – eine tödliche Antwort bereithielt.
Thurmond war imstande, das Gefechtshandbuch der Diebe wortwörtlich zu zitieren.
Alar senkte langsam die Klinge. „Dann ist es sinnlos, Ihnen meine Waffe zum Zeichen der Unterwerfung anzubieten, in der Erwartung, Sie würden mit der linken Hand danach greifen …“
„… damit ich über Ihre Schulter geworfen werde. Nein, danke.“
„Oder daß ich im eigenen Blut ausgleite …“
„… und mich aufspießen, wenn ich herbeieile, um Ihnen den Gnadenstoß zu versetzen.“
„Und doch“, gab der Dieb zurück, „beschränkt sich die Philosophie der Sicherheitsumwandlung nicht auf die offenkundigen, ziemlich schülerhaften Kunstgriffe, die wir eben erörtert haben. Das werde ich demnächst vorführen.“ Sein
Weitere Kostenlose Bücher