Der Mann ohne Vergangenheit
Zentralgyroskop über den stürmischen Wirbel die Oberhand behielt, war es möglich, daß die Station den anderen Schenkel des nachfolgenden Sonnenflecken-Zwillings hinaufgespült wurde, und es war möglich, daß er die Station über den Penumbrarand in Sicherheit brachte – in welch unwahrscheinlichem Fall er so lange leben konnte, wie es seine durchbohrte Lunge erlaubte oder bis die Vorratslager mit Muirium gefüllt waren und der Synthetisator das tödliche Material in die Sonne zurückschleuderte, wo es eine Riesenexplosion auslösen würde.
Er konnte jedoch sicher sein, daß es selbst dann keine Rettung gab, wenn die Station in diesem Zeitraum vor der Explosion gefunden wurde. Kaiserliche Suchfahrzeuge würden die Entdeckung machen, und die kaiserliche Polizei würde die Station einfach bis zur unweigerlichen Auffüllung der Muiriumlager unter Beobachtung halten.
Der Mann saß lange Zeit brütend im Sessel des zentralen Bedienungsmannes, bis ihn der steiler werdende Boden aus dem Sitz zu werfen drohte. Er stand schwerfällig auf, hielt sich an den Halteseilen fest und ging die ganze Wand entlang zu einer riesigen Schalttafel zurück.
Dort löste er die Sicherung des Zentralgyroskopschalters und zog sie unter dem Protest knallender, zischender Flammen heraus. Das Deck begann auf der Stelle unter ihm zu vibrieren, und die rasch zunehmende Bodenneigung machte das Stehen schwierig.
Als er an dem Hauptschalter, der die Außenluken der Muiriumschleusen über ihm auslöste, ein Seil anbrachte, drehte sich der Raum schon schwindelerregend unter ihm. Das lose Seilende band er sich um den Bauch.
Wenn sich die Station auf den Rücken legte, würde er zum anderen Ende des Raumes fallen, und das an seinem fallenden Körper angebrachte Seil würde den Schalter der Muiriumluke aufreißen. Das ganze angesammelte Muirium würde sich in die ursprünglichen Energiequanten zurückverwandeln, und die Station würde urplötzlich zu einer flachen, riesigen Weltraumrakete werden und durch den aufsteigenden U-Schenkel mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in den Weltraum hinausgeschleudert werden.
War er ein Mensch, würde er auf der Stelle getötet werden. War er aber kein Mensch, mochte er die phantastische Anfangsbeschleunigung überleben und die Station in die schwarzen Tiefen des Weltraums hinausbegleiten.
Das Deck war beinahe zur vertikalen Wand geworden. Das Gyroskop war möglicherweise zum Stillstand gekommen, und es gab kein Zurück mehr. Einen Augenblick lang bedauerte er seinen Entschluß.
Darfs ein bißchen mehr sein? Mit dieser Methode hatte er fünf Lebensjahre herausgepreßt. Jetzt ging es nicht mehr. Schweiß spritzte ihm vom Gesicht, als er sich, fallend und rutschend und gleitend, verzweifelt an den glatten Stahlplatten des Decks festkrallte, das jetzt über ihm emporschoß, um zur neuen Decke zu werden. Dann fiel er direkt auf den Boden hinunter, der vor ein paar Minuten noch die Decke gewesen war und lag dort hilflos unter einer Gravitation von 53 g, unfähig zu atmen, und verlor rasch das Bewußtsein.
Dumpf wußte er, daß das Seil den Schalter der Muiriumluken umgelegt hatte und dann unter seinem ungeheuer angewachsenen Gewicht gerissen war … daß ihm die gezackten Trümmer seiner zerbrochenen Rippen ins Herz gedrungen waren … daß er im Sterben lag.
In diesem Augenblick zündete das Muirium. Viertausend Tonnen des energiereichsten Stoffes, den der Mensch je gekannt hatte, zerfielen in einer Millisekunde zu einem gewaltigen, den Raum krümmenden Strahlungsschauer.
Er hatte keine Empfindung von Schmerz, von Bewegung, von Zeit, von Körperlichem, von nichts. Das war ihm jedoch gleichgültig. Auf seine Art war er noch immer höchst lebendig.
Alar war tot.
Und doch wußte er, wer er war und worin sein Schicksal bestand.
20
Weltuntergang
Goddard, der Atomminister, war aufgesprungen und starrte abwechselnd das Gehirn und Haze-Gaunt aus weitaufgerissenen Augen an. „Das Gehirn – Kennicot Muir? Unmöglich!“
Phelps von der Zivilluftfahrt umklammerte die Sessellehnen mit weißen, zittrigen Händen, und seine Fingernägel bogen sich unter dem Druck krachend nach hinten. „Woher wollen Sie wissen, daß es unmöglich ist?“ schrie er. „Das Gehirn muß diese Frage beantworten!“
Keiris schluckte in einer Ekstase des Schmerzes. Sie hatte etwas ausgelöst, worauf das Gehirn nicht vorbereitet gewesen sein mochte. Beim Zurückdenken fiel ihr kein vernünftiger Grund für die Frage ein, es sei
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