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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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befestige die Hose und gehe zurück zu meinen neuen Bekannten. Erstaunlich glatte, durchtrainierte Herren schauen mich mit einer Art spöttischer Herablassung an, und ich studiere sie, durch eine Wand von Übelkeit. Absolut glatte Arschgesichter, deren Leben ihnen gnädigerweise nicht eine Sekunde des Innehaltens und inneren Betrachtens gestattet. Vermutlich beherrschen sie alle mindestens fünf Sprachen fließend und haben diesen Typ neuen Wissens, die schnelle, vernetzte Sorte, die nichts mit dem zu tun hat, was wir als intellektuell bezeichnen, was meint: Bücher zu Hause wie Trophäen auszustellen, den Kanon zu beherrschen und Köchelverzeichnisse aufsagen zu können. Es ist durchaus niedlich, die Grundzüge der griechischen Mythologie nacherzählen zu können, doch was hilft es, wenn die jungen smarten Harvard-Abgänger die Finanzwelt und damit alles beherrschen?
    Durch die Nacht, die sich am Horizont aufzuhellen beginnt, werde ich unsicher, und die plötzliche Leere, die Trinker befällt, wenn der Alkoholpegel sinkt, stellt sich ein.
    Anstelle des Elvis’ auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat sich eine dicke Frau mit roten Haaren aufgebaut. Sie trägt Kleidung, die in ihren Kreisen vermutlich als weiblich und originell-kreativ gilt. Natürlich darf der Hut nicht fehlen.Menschen, die Hüte tragen, können nie meine Freunde sein, ebenso wenig wie Erwachsene, die Roller fahren oder Sätze sagen wie: »Spinoza erwähnte bereits ...« Wobei ich nichts gegen Spinoza habe und sich die Frage der Freundschaft vermutlich nicht stellen wird, denn in den vergangenen Jahren gab es nicht einen, der nachdrücklich darum gebeten hätte, sich in meiner Nähe sonnen zu dürfen.
    Die Frau, ich vermute eine Europäerin oder eine Australierin mit minderwertigen englischen Wurzeln, beginnt Moritaten zu singen. Ganz furchtbar ist das, als ob man Bekannte in der geschlossenen Abteilung beobachtet.
    Sie singt: »Ich habe dich soooo geliebt.«
    In mir wächst der Wunsch, die Frau zu erschießen. Wenn sie ihn soooo geliebt hat, warum hat sie dann damit aufgehört? Dieser kitschige Liebesbegriff, der sich in den letzten hundert Jahren manifestiert hat und die Hirne des Kollektivs ausgehöhlt, bis nur noch blubbernde Lava vorhanden war.
    Ich habe dich soooo geliebt. Ein Widerspruch in sich, das kommt aber nicht an bei dem überfütterten Hamster, der sich an die Mauer presst und Schwülstiges singt. Herr Ober, einen Wodka. Hastig trinke ich, meine neuen Freunde, die durch einen dreifachen Drink wieder zu meinen Freunden werden, erheben sich. Es gibt eine Party irgendwo, da darf ich nicht fehlen.

Damals.
Vor drei Monaten und zwanzig Tagen.
    Unwissend wie ich war, hatte ich das Gefühl, beim Landen könne mir nichts mehr passieren; wenn man den Boden so nah hatte, konnte es doch nicht schmerzhaft sein, sich in einem Wolkenkratzer zu verfangen. Wie niedlich sie aus dem Fenster schauten, die Passagiere, auf die Hochhäuser, und die Luft anhielten, beeindruckt von der Leistung der Rasse. Wir haben diese Häuser gebaut, das Flugzeug entwickelt, all die Momente, in denen man sich für Sekunden eins mit der Schönheit des Menschseins fühlt, ja, ich bin Teil einer Spezies, die so wild ist und unbezähmbar. Unsere kleine Reisegruppe, die gemeinsam elf Stunden hospitalisiert war, während der jeder Sex mit der Atemluft eines jeden anderen gehabt hatte und alle Gesäße mit der Toilette, also miteinander Kontakt hatten, in denen wir die Angst geteilt und miteinander gefrühstückt hatten, vergaß einander in dem Moment, da das Flugzeug aufsetzte. Keiner hatte das Gefühl unbestimmten Verlustes.
    Der Flughafen in Hongkong war das Eleganteste, was ein Flughafen werden kann. Eine leise Lounge voller reicher, hübscher Menschen, die, mit an Langeweile grenzender Gelassenheit, Mixgetränke zu sich nahmen.
    Wir glitten in ein perfektes Menschenverstauungssystem, da waren die Bahn, die Fähre, Wegweiser, Bahnhöfe, Trams, Boote – alles griff geschmeidig ineinander, der Traum eines perfekten Beförderungssystems, das verdeutlichte, wie das Lebennie sein würde, das wiederum eher einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern glich, nachdem der letzte Bus verpasst war.
    In dieser Stadt schien der Kapitalismus ausschließlich Begeisterung zu erzeugen. In ihren eleganten, günstigen Transportmitteln ließen sich gutgekleidete Menschen nach Zehnstundenschichten in vierundzwanzig Stunden geöffnete Einkaufsparadiese fahren.
    Heiter kauften die Bewohner von

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