Der Mann schlaeft
musste.
Zwar stand er immer ein wenig ratlos vor mir, wenn ich mich in Phantasien verlor, die ich nicht beeinflussen konnte, und es war ihm sichtlich unwohl, doch meist tat er mir in seiner Überforderung so leid, dass ich mich vergaß und ihn tröstete.
Er half mir, wie fast immer, mich nicht allzu ernst zu nehmen.
Seit Wochen lagen Kleiderhaufen wie Lumpen in den feuchten Räumen, und ich vermochte keine Entscheidung zu fällen über die unglücklichen Hemden, die mich begleiten mussten.
Als Folge meiner maßlosen Selbstüberschätzung sah ich stets, wenn Flugreisen anstanden, den Inhalt meiner Reisetasche auf dem Meer schwimmen.
Wie albern, denn nur wenigen wird der wunderbar schnelle Abgang durch einen Fliegerabsturz beschert.
Ich würde vermutlich wie die meisten Europäer in einer Anstalt verenden, mit kleinen, nicht vorhandenen Gnomen redend und in meiner Ausscheidung schwimmend, die ich als angenehm warm und tröstlich empfände.
Diese Aussicht war ebenso wenig dazu angetan, dass ich mich federleicht fühlte, wie die bevorstehende Erniedrigung auf dem Flughafen, da ich unmündig und schlecht behandelt werden würde, weil es mir nicht gelungen war, mir mit einem Ersteklasseticket die Illusion von Menschenwürde zu kaufen.
Alle Bemühungen, mir einzureden, dass elf Stunden in einem Zug zu verbringen ähnlich gefährlich war, wie sich in einem Flugzeug aufzuhalten, misslangen.
Die trügerische Idee war, dass man mehr Kontrolle über den Zeitpunkt seines Ablebens hatte, wenn ein vertrautes Moment in Fußnähe war.
Ich packte Arbeitsunterlagen ein, Duftkerzen und anderen Frauenkram, als plante ich, nur rasch das Haus zu verlassen, um infolge von Kälte anderswo mein Leben wieder aufzunehmen. Das Unglück blieb.
Falls es nicht zuvor ein Massaker in den Wolken gab, befände ich mich bald auf einer asiatischen Insel. Mir machten Gegenden Angst, die ich nicht gemessenen Schrittes verlassen kann, und eine fremde Region wie Hongkong mochte bereits morgen Schauplatz eines Bürgerkrieges werden. Mein Tod ängstigte mich selten, mir die Konsequenzen meines Ablebens vorzustellen, gebrach es mir an Phantasie, die jedoch reichte, mir auszumalen, wie es wäre, über Jahre an einem Ort zu sein, wo ich nicht sein wollte. Gefangen durch politische Umstände, Unwetterkatastrophen, Amputationen.
Später saß ich, die Häufchen in Taschen verstaut, vor dem Fenster, blickte auf den See, über dem die Lichter in den Häusern angingen, und wartete auf den Mann, damit das Grauen verschwände.
Als er kam, heizte er den Kamin, damit der Luft aller Sauerstoffentzogen würde, wir saßen davor, rösteten unsere Füße und aßen Kartoffelbrei mit Spinat. »Es wird bestimmt wunderbar, dort auf der Insel«, sagte der Mann, und ich sah seine Augen vor angestrengtem Lügen so klein werden wie die eines Igels, »aber wir können auch hierbleiben, es wäre sicher romantisch. Wenn wir noch einen Radiator kaufen, würde es warm werden, also ein wenig, und wir könnten Stollen essen«, sagte er, und nun war es an mir, die wunderbare Reiseidee zu verteidigen, denn wie es aussehen würde, wenn draußen alles geschlossen war und die Tage sich nicht von der Nacht zu unterscheiden wussten, das ahnte ich.
»Es wird großartig, vielleicht erleben wir einen Tsunami, das wäre doch ein Erlebnis, das unsere Beziehung stabilisieren könnte, falls wir es überleben«, sagte ich kraftlos.
Der Mann umarmte mich, bis ich verschwand. Er beherrschte die Kunst, meine Welt zu sein, Flugzeuge zu zerstören, mich aufzunehmen, herumzutragen, ins Bett zu legen, mich mit sich zuzudecken, bis ich alles vergaß, was weh tat, bis ich mich vergaß.
Heute.
Nacht.
Mich gibt es nicht mehr. Wie schön das ist.
Dass ich in den vergangenen Wochen nicht auf die Idee gekommen war, mich gehörig zu betrinken, scheint mir geradezu merkwürdig, denn es ist so naheliegend. Zum ersten Mal seit Wochen kann ich atmen, ohne dass ich dabei Beschwerden im Brustbereich habe, zum ersten Mal wieder lachen, sei es auch nur über meine Scherze, die von erstklassiger Qualität sind. Ich denke, ich unterhalte den Masseur und Kim ausgezeichnet. Sie hängen an meinen Lippen. Ich bin ein Füllhorn amüsanter Anekdoten. Aber es wird Zeit für mich zu gehen, die Nacht ist noch jung und die Kluft zwischen den am Tisch versammelten Generationen zu groß.
Ich bin in mir nicht mehr vorhanden, ein Zustand, den ich nur empfehlen kann. Was soll das jahrelange Meditieren im tibetanischen Hochland,
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