Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
Vom Netzwerk:
mehr.
    In den Ecken klemmen mehr oder weniger betrunkeneoder von anderen Rauschmitteln beeinflusste Menschen, die allesamt besser aussehen, als ich es zu jeder Zeit meines Lebens getan habe.
    Welches Elend mich umgibt. Ich hatte vergessen können, was Menschen auf der Suche anstellen, nach einem neuen Leben, das nur durch einen Autounfall oder das Treffen auf einen anderen Menschen, den sie mögen dürfen, hergestellt wird.
    Wie schwierig das ist, einen zu finden, der einem von der Einsamkeit erlöst, irgendwelche biologischen Parameter funktionieren oft nicht miteinander, und der Rest ist Traurigkeit. Sinnloses Sich-Paaren und Reden, Aus-Wohnungen-Schleichen oder Obszöntun mit Geräten, um die Peinlichkeit nicht zu hören, all die Verzweiflung, die die Luft verdichtet, wenn Singles anwesend sind, all die blödsinnigen Gespräche um nichts und die Gesten ins Nichts, und es ist doch überall dasselbe, überall auf der Welt, wo es Menschen so gutgeht, dass sie einen Partner nur zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität wählen können.
    Eine chinesische Katze tanzt verzweifelt auf dem Tresen, die anwesenden Broker schauen sie nicht einmal an.
    Das Motto meines Lebens: Ich tanze, und keiner sieht hin. Ein erstklassiger Buchtitel für die Geschichte eines spinal gelähmten Mädchens, das sein Schicksal anzunehmen gelernt hat.
    Ich habe den Pegel nicht gehalten. Mir ist übel. Ich habe das Gefühl, ich sei seit Tagen in dunklen Barhöhlen, umgeben von Paarungstrieb und Alkoholdunst. Erfrieren sei ein wunderbarer Tod, las ich; allein, es ist die falsche Adresse, hier in den verdammten Tropen.
    Ich setze eine geeiste Wodka-Magnumflasche an und falle endlich. Ich sehe nackte Beine von unten und Absatzschuhe und Brokerhosen. Was machen wir nur alle, mit dieser unglaublichen Hilflosigkeit? Was machen wir nur, wenn wir keinen haben, an den wir uns klammern können, um nicht im Sumpf unserer Peinlichkeit unterzugehen?
    Die chinesischen Kätzchen schnurren um die gelangweilten Broker herum. Mag sein, dass sie einen reichen Mann wollen, weil sie keine bessere Idee haben oder sich nicht eingestehen können, dass sie einfach irgendwen wollen, der ihnen die Hand hält, wenn sie Angst haben, vor der Schlaflosigkeit, bei Nacht. Unser Versagen, Liebe zu finden, ist das, was bleibt, am Ende.
    Liegen ist ein Fortschritt. Ein hoher Pfeifton in den Ohren blendet die Musik aus, die Geräusche werden dumpf, die Menschen verschwimmen freundlich zu einem großen paillettenbesetzten Nichts. Neben mir kauert plötzlich jemand in der Dunkelheit, die Scheinwerfer machen es unmöglich, sein Gesicht zu sehen.
    »Sie sehen verzweifelt aus«, sagt er mehrfach so nachdrücklich, dass ich ihm nicht widersprechen möchte.
    »Ich brauche was zu trinken«, erwidere ich, und mir dämmert, dass ich in meiner Sprache rede und der Schatten es verstanden hat, denn mir wird eine Flasche gereicht.
    »Sehen Sie, Sie leiden, weil Sie sensibel genug sind, zu spüren, was auf uns zukommt.« Ich schaue den Umriss glasig an. Er kommt mir vertraut vor. Aber in der halbdunklen Umgebung und unter Alkohol vermag ich mich nicht zu erinnern, wo mir dieser Umriss schon einmal begegnet sein könnte. »Glücklich zu sein hat mit Unwissenheit und Dummheit zu tun,bei dem, was uns bevorsteht«, sagt der Umriss, und mir scheint, dass er seine Stimme verstellt. »Es wird einen Tsunami geben, gegen den der von 2004 wie ein Spaßvogel scheinen wird.« Der Schatten redet ausführlich von Atombombenexperimenten, und solcherlei Berichte versetzen mich auch ohne Alkohol umgehend in eine schwere Katharsis. Die Illuminaten, die CIA, die Außerirdischen, es ist mir so gleichgültig, was von all den Verschwörungstheorien wahr ist und was nicht, ob ich überwacht werde und manipuliert. Der Klassenkampf ist verloren, war vorbei, lange bevor Menschen an Flughäfen nacktgescannt wurden. Ich mag die Idee, jemand müsse mich abhören und an meinem öden Leben teilhaben.
    Nach einer Viertelstunde, es kann auch weniger oder mehr Zeit vergangen sein, kommt der Mann zum Punkt. Er hat Baupläne und genaue Anleitungen, um eine Art Arche zu bauen, mit der man garantiert überleben wird. »Du bist es wert, Teil unserer schwimmenden Gemeinschaft zu sein und die neue Erde zu bevölkern.«
    »Das wüsst ich aber«, lalle ich freundlich. Der Umriss steckt mir ein Papier in die Jacke und entfernt sich.
    Im Verhältnis zu den anderen Anwesenden, das erkenne ich, ist der Umriss ein Zwerg. Ein Zwerg, der in

Weitere Kostenlose Bücher