Der Mann schlaeft
Hongkong Waren, trugen sie irgendwohin und warfen damit um sich.
Ein Boot brachte uns zu der Insel, auf der wir vier Wochen verbringen wollten, und das Meer, das mir nie ein Freund gewesen war, denn es schien mir zu groß, zu viel Natur, zu wenig zu schauen, war hier eher ein Pool in einer Hochhaussiedlung, belebt und benutzt von Tausenden Booten, darunter unseres, das am Ufer entlangfuhr, wo man den Bewohnern der Häuser auf den Tisch schauen konnte. Ich lehnte mich an den Mann, froh, dass ich nicht von mir selber in die Verlegenheit gebracht wurde, Sachen sagen zu müssen wie: »Siehst du das Hochhaus?« und er würde dann sagen: »Ja, gewaltig hoch, dieses Hochhaus, und wer das wohl gebaut haben mag.« Und ich würde sagen: »Egal, wer, er war ein Meister seines Fachs.« Dann würden wir wieder schweigen.
Ich hatte das große Bedürfnis, mich zu bedanken, dass ich den Gesprächsteil direkt überspringen durfte, wusste aber nicht, bei wem.
In den vier Jahren, da ich fast täglich mit dem Mann zusammen gewesen war, hatte ich gelernt, seinen Ausdruck zu lesen, was mir verlässlicher schien, als mich nach seinem Befinden zu erkundigen, denn mit Menschen, die über ihre Zuständeberichten, hatte ich sehr unerfreuliche Erfahrungen gemacht. Im Moment war der Mann müde und guter Laune, weil wir leicht bekleidet an Bord eines aufgeräumten Bootes sitzen konnten, umgeben von Menschen, die gerade von der Arbeit kamen, mit Netzen voller Lebensmittel, und weil es so schön ist, nicht ausschließlich von offensichtlichen Touristen umgeben zu sein, und weil wir zum ersten Mal seit Wochen wieder Licht sahen, der Tessiner Kellerluft entkommen.
Es gibt Orte, die es einem leichtmachen, nicht zu Hause zu sein, und die Insel war einer von ihnen. Vor Übermüdung kaum mehr anwesend, gingen wir den langen Steg vom Bootsanleger auf die Insel, vorbei an einem kleinen Hafen.
In einem Büro trafen wir einen Hamster von einem Menschen, der uns zu unserer Wohnung brachte.
Direkt am Meer standen ein paar Tische, die zu einem vermutlich und naheliegenderweise chinesischen Restaurant gehörten, und eine sehr steile Treppe führte in den ersten Stock. Zwei hübsche kleine Zimmer, man sah das Meer nicht, doch direkt vor dem Schlafzimmerfenster befand sich die autofreie Hauptstraße, die man aus leisen Musikstücken zu kennen glaubte. Es hätte mich nicht gewundert, wäre ein leiser warmer Regen gegangen, doch einzig die Sonne verschwand im Meer.
Wir verteilten unsere Dosen in der Wohnung und liefen noch einmal die Straße auf und ab, um unsere Spuren zu hinterlassen, falls die Erde über Nacht untergehen sollte. Dann gingen wir in das Bett, das nach einigen Tagen sehr starke Rückenschmerzen erzeugen würde, und hörten den Menschen auf der Gasse beim leisen Reden und Lachen zu, und mildes Licht aus roten Laternen färbte den Raum. Esroch nach Fisch, Meer und Rauch, und es war genau so, wie man es sich als Kind vorgestellt hatte, im Bett liegend um die Welt zu reisen. Dann legte ich meinen Kopf auf den Bauch des Mannes, wie jede Nacht. Der Bauch hob und senkte sich wie ein Meer, und ich wollte nirgends anders sein als da, wo ich war. Am sichersten Ort der Welt.
Heute.
Früher Morgen.
Pegeltrinken ist durchaus eine Leistung, die nach Respekt verlangt. Da denkt man doch, das wäre nichts, sieht man gutgelaunte Penner vor Sacré-Cœur sitzen, die einem mittags mit einem frohen Lied zuprosten.
Als Anfänger in dem Geschäft erwische ich entweder zu viel und muss mich übergeben oder zu wenig und sehe klar. Den Zustand freundlich gelaunter Umnachtung zu halten ein Unterfangen, das nicht zu den einfachsten zählt. Es muss ähnlich sein, die Eigernordwand zu besteigen, adrenalinabhängige Grenzerfahrung. Und dann werden Filme darüber gemacht, wie Männer sich die Beine abfrieren und von schlechtbezahlten Helikopterpiloten aus Gletscherspalten gekratzt werden.
Wo auch immer ich mich gerade aufhalte, ist die Musik in unangenehmer Art schlecht und elektronisch, die Anlage zu laut eingestellt, vermutlich denkt der DJ, er könne mit Lautstärke seine Unkenntnis überspielen. Oder ich habe einfach den Anschluss verloren, es nicht mehr geschafft, nach dem Vierzigsten, nachzukommen mit der immer neuen Musik, der Mode, der Kunst, den Büchern, und habe irgendwann aufgegeben. Vermutlich werde ich bald mit der Flasche vor einer Sehenswürdigkeit sitzen und über die Zeit fluchen, die uns den Adenauer genommen hat, und Thomas Mann ist auch nicht
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